Gottesdienst an der tschechisch-österreichischen Grenze

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Die Nachbarschaft ist stärker

Es war Samstag, 16. Mai. Tag des hl. Johannes Nepomuk. In Tschechien hatte sich in der Woche vorher eine Bürgerinitiative mit dem Namen „Soboty pro sousedství“ (Samstage für die Nachbarschaft) gebildet. Die meist jungen Mitglieder dieser Initiative wollten sich nicht mit den aufgrund der Corona-Krise geschlossenen Grenzen in Mitteleuropa zufriedengeben. Der 16. Mai war ihr erster Aktionstag. An ausgewählten Punkten der Grenze zu Deutschland, Österreich und Polen wurde zu Nachbarschaftstreffen eingeladen. Wenn man schon nicht die Grenze passieren konnte, wollte man sich wenigstens entlang der Grenze mit den Nachbarn treffen. Da ich einige der Aktivisten persönlich kannte, verfolgte ich diese Treffen über die sozialen Medien. Gerne wäre ich auch selbst an die Grenze zu meiner niederösterreichischen Heimat gefahren, was aber am Namenstag meiner Prager Kirche St. Johannes Nepomuk am Felsen unmöglich war. Aus dieser Situation heraus entstand die Idee, am Pfingstmontag einen Gottesdienst an der tschechisch-österreichischen Grenze zu feiern.
Mit dem Gottesdienst sollte auch dem Jubiläum anlässlich des 200. Todestages des Hl. Klemens Maria Hofbauer ein neuer Impuls versetzt werden. Die für Mitte März geplanten großen Jubiläumsfeierlichkeiten in Wien und Znaim, an deren Vorbereitung ich intensiv beteiligt gewesen war, hatten aufgrund der Maßnahmen gegen die Verbreitung des Corona-Virus alle abgesagt werden müssen. Der hl. Klemens stammte selbst aus der tschechisch-österreichischen Grenzregion, sein Geburtsort ist Tasswitz bei Znaim. Er selbst musste und wollte in seinem Leben häufig Grenzen überschreiten, nicht nur geographische, sondern auch geistige, psychische und ideologische Grenzen.
Zugute kam meinem Vorhaben, dass es am tschechisch-österreichischen Grenzübergang von Hnanice/Mitterretzbach seit einigen Jahren einen steinernen Tisch gibt, durch welchen die Grenze mitten durchgeht. Dieser Tisch ist ein Symbol dafür, dass Grenzen nicht in erster Linie die Funktion haben, Völker und Nationen voneinander zu trennen, sondern sie zu verbinden. Es gibt keinen geeigneteren Ort für einen grenzüberschreitenden Gottesdienst.
Doch da waren immer noch die coronabedingten Grenzschließungen. Man konnte zwar am Pfingstmontag die Grenze zwischen den beiden Ländern bereits passieren, aber nur mit einem negativen Corona-Test bzw. mit der Auflage einer zweiwöchigen Quarantäne. So musste ich das Vorhaben des Gottesdienstes von tschechischen und österreichischen Behörden absegnen lassen. Ich erntete dabei alles andere als Begeisterungsstürme. Ein Telefonat mit dem für den Grenzverkehr zuständigen Polizeimajor der Region Südmähren brachte aber dann die Gewissheit: „Ja, es ist möglich, freilich unter Einhaltung aller einschlägigen Maßnahmen“.
Und so machte ich mich am Pfingstmontag in der Frühe von Prag aus auf den Weg Richtung österreichischer Grenze, durchaus mit einem flauen Gefühl im Bauch. Zugleich aber auch mit Freude: Endlich konnte ich wieder einmal in meine Heimat hineinschauen, und zwar genau an dem Grenzübergang, den ich schon so oft verwendet hatte. Die Freude wurde dann umso größer, als ich das Ziel erreichte und sich sowohl die tschechischen wie die österreichischen Grenzpolizisten äußerst zuvorkommend verhielten.
Bald kamen dann auch die ersten Besucher des Gottesdienstes, eine in Wien lebende junge slowakische Familie. „Schön“, dachte ich mir, „die Idee hat Kreise gezogen“. Als nächstes stellte sich ein Mitarbeiterteam der Caritas Znaim ein. Dann kamen der ehemalige österreichische Botschafter in Tschechien mit seiner Familie, ein Team der Caritas Retz, ein Teil meiner Familie, andere Einzelbesucher und schließlich die Pilger aus Wien, welche den Weg zum Grenzübergang vom Bahnhof Retz aus zu Fuß zurückgelegt hatten. Insgesamt wuchsen wir auf eine sehr bunte etwa fünfzigköpfige Gruppe an, die miteinander Gottesdienst feierte. Schön war auch, dass ein junger Diakon mitwirkte, der aus der Diözese Opava stammt, aber noch in diesem Jahr für die Erzdiözese Wien zum Priester geweiht wird.
In meiner Predigt betonte ich die Bedeutung der über drei Jahrzehnte hindurch gewachsenen tschechisch-österreichischen Nachbarschaft. „Deswegen erlauben wir niemandem, dass unsere Nationen wiederum getrennt werden. Wir erlauben das weder dem Populismus noch dem Nationalismus, weder einem Virus noch der Angst vor ihm. Wir erlauben das auch nicht der Sünde und dem Hochmut. Unsere Nachbarschaft ist stärker als das alles.“

P. Martin Leitgöb