Die Teilnehmer des Podiumsgesprächs, v. l.: Moderatorin Blanka Navrátová mit Veronika Kupková und Petr Kalousek sowie Dolmetscherin Milada Vla Foto: Bauer

Podiumsgespräch beim Sudetendeutschen Tag

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Podiumsgespräch von Ackermann-Gemeinde, Adalbert Stifter Verein, Sudetendeutschem Priesterwerk und Tschechischem Zentrum

„Entschieden für Verständigung. Junge Tschechen und die eigene Geschichte“ lautete der Titel des Podiumsgesprächs, zu dem vier Institutionen gemeinsam beim Sudetendeutschen einluden: Ackermann-Gemeinde, Kulturreferat für die böhmischen Länder im Adalbert Stifter Verein, Tschechisches Zentrum und Sudetendeutsches Priesterwerk. Kein Wunder also, dass der Veranstaltungsraum bis auf den letzten Platz besetzt war.
Die vier Einrichtungen sowie die am Podiumsgespräch beteiligten Personen stellte Kulturreferent Wolfgang Schwarz in seiner Begrüßung und Einführung kurz vor. Es sei inzwischen „unkompliziert, über schwierige Themen zu sprechen, über die Vergangenheit und Zukunft“, stellte er fest und verwies auf die jüngsten Veranstaltungen in Regensburg und Selb mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala bzw. dem tschechischen Staatspräsidenten Petr Pavel. „Auch in der Politik sieht man den Wandel, das hängt auch mit der Gesellschaft zusammen“, stellte Schwarz fest und verwies auf viele Aktivitäten in der Literatur, Wissenschaft sowie bei Vereinigungen. Vertreter von zwei Vereinen, die sich besonders mit der deutsch-tschechischen Geschichte befassen, bestritten das Gespräch: Veronika Kupková von Antikomplex und Petr Kalousek von Meeting Brno. In den Reihen der Gäste hieß Schwarz die tschechische Generalkonsulin Ivana Červenková, den Vorsitzenden des Sudetendeutschen Priesterwerks Regionaldekan Holger Kruschina und die Bundesgeschäftsführerin der Ackermann-Gemeinde Marie Neudörfl willkommen.
Erst seit gut drei Jahren ist Veronika Kupková bei Antikomplex, das heuer bereits auf 25 Jahre Wirken zurückblicken kann. Ein auch grenzüberschreitend vielfach beachtetes und positiv gewürdigtes Projekt war die Ausstellung „Das verschwundene Sudetenland“, wo jeweils einem Bild von ca. 1900/1905 das gleiche Motiv hundert Jahre später gegenübergestellt wird. „Einige Ereignisse brauchen eine lange Zeit, bis sie bekannt werden. Die Bilder haben – vor allem in den ersten Jahren – kritische Diskussionen und große Emotionen ausgelöst“, blickte Kupková zurück. Natürlich auch aus dem Grund, weil es bis dahin kaum Möglichkeiten einer kritischen und unpolitischen Diskussion über diese ersten Nachkriegsereignisse (Vertreibung der Sudetendeutschen, Ansiedlung vor allem Angehöriger aus Minderheiten in diesen Regionen) gab. In jüngster Zeit hat Antikomplex, so die Mitarbeiterin, den Fokus etwas geändert. Man befasst man sich mit den Menschen, die jetzt in den ehemaligen sudetendeutschen Gebieten leben, wirken und arbeiten, d.h. mit Projekten zur Verbesserung der Situation dort. „Das Narrativ ist nun etwas bunter. Das wollen wir zeigen. Natürlich ist nicht alles super. Aber es wird deutlich, dass sich die Dinge entwickeln und auch schon geändert haben. Es geht um Leute, die dem Sudetenland ein neues Gesicht geben wollen“, konkretisierte Kupková. Unter dem Titel „Mitten am Rande“ ist eine erste Dokumentation über die Menschen bzw. Projekte im Nordwesten im letzten Jahr erschienen, der zweite Teil über den Nordosten wird in Kürze veröffentlicht.
Anhand einer kurzen Video-Präsentation stellte Petr Kalousek das Festival „Meeting Brno“ kurz vor. „Manchmal geht es um schwierige Themen. Aber bei einer guten Atmosphäre lassen sie sich gut behandeln“, stellte er einleitend fest und freute sich, dass die heurige Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des neuen tschechischen Staatspräsidenten Pavel und dessen slowakischer Amtskollegin Zuzana Čaputová steht. Die dem Festival zugrunde liegende Veranstaltung, der Versöhnungsmarsch, findet natürlich immer noch statt. Im Jahr 2015 jährte sich der Brünner Todesmarsch (Vertreibung der Deutschen aus Brünn) zum 70. Mal. Das war der Grund damals für Gespräche mit der neuen Stadtspitze über ein angemessenes Gedenken. „Wir waren sozusagen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort“, erläuterte Kalousek rückblickend. Die neue Rathausspitze unterstützte nicht nur die angedachten Aktivitäten, sondern unterzeichnete zudem eine Erklärung zur Versöhnung und gemeinsamen Zukunft – übrigens eine von wenigen weiteren derartigen Deklarationen neben der deutsch-tschechischen Erklärung, „in denen man sich zu den Nachkriegsereignissen äußert“, vertiefte der Meeting Brno-Mitarbeiter. Doch nicht nur in der politischen Ebene müsse es, so Kalousek, Änderungen in der Haltung geben, sondern allgemein auch auf der lokalen Ebene hinsichtlich tragischer Vorkommnisse vor Ort. „Wir haben die Hoffnung, dass der Sudetendeutsche Tag mal in Tschechien stattfinden kann“, warf Kalousek einen Blick nach vorne.
Von weiteren Projekten, unter anderem einem internationalen Work-Camp (mehrere Stand- bzw. Projektorte) im Erzgebirge mit Jugendlichen aus Deutschland, Tschechien, Griechenland, Italien und Spanien berichtete Veronika Kupková. Auf diese Weise würden die Themen auch in den jeweiligen Ländern bekannt. Speziell die deutsch-tschechische Geschichte könne durch einen „sensitiven Blick“ (Landschaft) und durch Kontakte mit den Menschen vor Ort (Zeitzeugen) entdeckt werden. Besonders die frühere Stadt Preßnitz, aus der nach 1945 die Deutschen vertrieben wurden und die dann Ende der 1960er Jahre dem Bau einer Talsperre weichen musste, womit auch die zuvor neu angesiedelten Menschen ihre Heimat verloren, nannte Kupková als Fallbeispiel. Sie hat sich übrigens intensiv damit beschäftigt.
Diesen Ansatz, die große Geschichte durch menschliche Erlebnisse und Schicksale zu vermitteln, verfolgt auch Meeting Brno. Wobei hier auch die früheren jüdischen Bewohner Brünns mit einbezogen werden. Da hier über Brünnlitz/Brněnec ein historischer Bezug zu Oskar Schindler hergestellt werden kann, ergibt sich ein guter Anknüpfungspunkt für entsprechende Angebote. Grundsätzlich sieht Kalousek auch bei jungen Leuten eher Interesse an der Orts-, Lokal- und Regionalgeschichte als an der „großen“ Geschichte. Auf diesem Weg könnten dann aber auch die größeren Zusammenhänge erläutert werden.
Moderatorin Blanka Navrátová vom Tschechischen Zentrum München interessierte nach diesen inhaltlichen Aspekten der Arbeit der Austausch bzw. die Kooperation mit Vereinen, Verbänden, Behörden usw. Antikomplex habe die Zusammenarbeit mit Vereinen seit der Corona-Pandemie begonnen, vor allem wegen der Synergieeffekte. Bei Meeting Brno ist laut Petr Kalousek die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen „nicht sonderlich intensiv“, auch weil Brünn nicht typisches Sudetenland sei. Für das Festival arbeite man aber mit sudetendeutschen Einrichtungen und Verbänden zusammen. Hinsichtlich der Behörden sei zwischen der politischen Ebene und der Verwaltung zu unterscheiden. „Die Unterstützung durch die Politik ist wichtig, die Zusammenarbeit mit den Verwaltungen nicht immer einfach“, brachte es der Meeting Brno-Mann auf den Punkt.
Gefragt nach den Unterschieden bei Geschichtskenntnissen zwischen tschechischen und deutschen Jugendlichen stellte Veronika Kupková fest, dass es eher Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland gebe. Ihrer Meinung nach hängt das auch mit der in der DDR nicht möglichen Gründung von Vertriebenenverbänden zusammen und natürlich dem damaligen Verständnis der ČSSR als Brudervolk, das vor eben diesem Hintergrund keine Vertreibungen durchgeführt hat.
Abschließend wollte die Moderatorin wissen, ob sich das kollektive Gedächtnis in der tschechischen Gesellschaft zum Thema „Vertreibung“ bereits verändert hat. Differenziert antwortete Kalousek: für einen guten Teil der jungen Generation sei das kein Thema mehr. Dann gebe es Menschen, die sich mit dem Thema auskennen und meinen, dass es schlimm war. Und schließlich würden wieder andere Menschen die Meinung vertreten, dass die Zeit zur Auseinandersetzung mit diesem Thema noch nicht gekommen sei. „Auch 80 Jahre nach dem Krieg ist es noch problematisch, das Thema anzusprechen. Weitere Arbeit an dieser Thematik ist nötig. Aber es bessert sich. Ich bin überzeugt, dass wir immer mehr darüber reden können und damit immer stärker ins Bewusstsein kommen – auch durch Gespräche und freundschaftliche Beziehungen“, fasste Kalousek zusammen. Veronika Kupková gab die Frage zurück. „Wie ist das Thema im Gedächtnis der Deutschen geblieben?“ Sie verwies auf Menschen zwischen 60 und 70 Jahren, die dem Thema „Vertreibung“ oft viele Vorurteile entgegenbringen. Auch da habe die Bildungsarbeit viel zu tun.

Markus Bauer