Inhalt
Vorwort des Vorsitzenden
Weihnachtsgruß des Vertriebenenbischofs
Weihnachtsgruß des Präses der Sudetendeutschen
Drei Weihnachtskrippen von Pepp Grimm
Rabbiner Pinkas Hauser aus der jüdischen Gemeinde von Muttersdorf
Anton Tscherney – Pfarrer und Heimatforscher aus Nordböhmen
30 Jahre Weihe der Wallfahrtskirche „Maria Hilf“ bei Zuckmantel
Unsere Glaubenszeugen
Seligsprechung tschechischer Märtyrer
Kardinal Dominik Duka zum Gedenken
Fachtagung zum Thema „Migration und Integration: Erinnerungskultur“
Exerzitien für Priester, Diakone und Ordensleute
Vorwort des Vorsitzenden
Der Volkstrauertag vor einigen Wochen stand ganz im Zeichen von 80 Jahren Kriegsende 1945. Der unselige Erste Weltkrieg, für die deutsche Volksgruppe in den danach neu gegründeten Nationalstaaten sicher ebenso wichtig, hatte sein „Jubiläum“ vor elf bzw. sieben Jahren. Dennoch drängt er sich mir auf, wenn ich auf den nächsten Kriegswinter in der Ukraine blicke: Auch da werden es nun bald vier Jahre sein. Zwar regional begrenzt, aber im „Abnutzungsstatus“ nicht weniger tragisch und vor allem für die Zivilbevölkerung ungemein belastend.
Aber auch wir sind „betroffen“: Die Solidarität mit der Ukraine kostet uns Geld und Ressourcen und spaltet einmal mehr unsere Zivilgesellschaft. Auch wir spüren die steigende Aggressivität und müssen Russland hinter vielen Nadelstichen auch bei uns vermuten. Eine Diskussion über die eigene Wehrfähigkeit und Investitionen in entsprechende Wirtschaftsbereiche bindet unser so notwendiges Engagement gegen den Klimawandel, der unaufhaltsam fortschreitet.
Und dann hören wir auf einmal den alten Ruf: Richtet Euch auf und erhebt Euer Haupt, denn es nahet Eure Erlösung! (Lk 21,28)
Mit diesen Worten haben wir das nun zu Ende gegangene Kirchenjahr am Ersten Advent 2024 begonnen – und wir haben einmal mehr sehen dürfen, dass die Welt trotz aller Unkenrufe (wieder) nicht untergegangen, eine innerweltliche „Erlösung“ aber ebenso ausgeblieben ist. Diese wäre aber angesichts der Menschheit und ihrer Schwächen auch utopisch. Unsere Erlösung naht vielmehr in der unerschütterlichen Hoffnung, dass Gott am Ende ein As im Ärmel hat, von dem freilich jeder schon weiß, der Tod und Auferstehung Jesu meditiert hat. Dass dem so ist, ist unser Bekenntnis an Weihnachten: Irdisches Leben geht Dank der Solidarität Gottes mit uns Menschen durch den Tod ins Leben.
Das rechtfertigt keinen einzigen Tod in Folge eines Krieges und es gibt ihm auch keinen Sinn, aber es lässt uns angesichts der Ohnmacht nicht verzweifeln. Flucht, Erstarrung oder Angriff sind die drei typischen Reaktionen in einer bedrohlichen Situation. Für uns Christen kommt dagegen noch eine vierte in Frage: Gottvertrauen.
Das wünsche ich uns allen zu diesem Weihnachfest und im Anno Domini 2026
Ihr
Pfarrer Holger Kruschina
Vorsitzender des SPW
Weihnachtswort des Vertriebenenbischofs
Zerbrechliche Kunst
Seit der Wende wird jährlich auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt neben den Märchenfiguren auch eine geschnitzte Krippe aus Oberammergau gezeigt. Die Krippenfiguren sind jedoch immer mit Vorsicht und Umsicht zu behandeln. Wenn der Weihnachtsmarkt um den 22. Dezember geschlossen wird, finden die Krippenfiguren im Dom einen schönen Platz. Die Figuren wurden von der Stadt Erfurt in Auftrag gegeben und das Domkapitel hat sich bereit erklärt, das Jahr über sie in Obhut zu nehmen. In den ersten Jahren wurde der Dompropst immer gebeten, beim Aufstellen von Maria, Josef, dem Jesuskind und den Hirten mit den Königen behilflich zu sein, damit jeder an seinem richtigen Platz steht. Das gelingt nun aber auch schon ohne kirchlichen Beistand, wobei bisweilen noch vor der Krippe Diskussionen über die Bedeutung der Darstellung zu hören sind, denn bei einer Bevölkerung, die aus 70% Nichtchristen besteht, bedarf es manchmal noch einer Erklärung, was hier zu sehen ist. Inmitten von Märchendarstellungen auf dem Weihnachtsmarkt kann auch schon mal die Frage aufkommen: „Was ist das für ein Märchen mit Frau, Stroh und Kind?“
Nicht nur die geschnitzten Darstellungen sind behutsam zu behandeln, weil die zarten Finger und die Ohren der Schafe leicht zerbrechlich sind. Auch die Botschaft dieser Krippendarstellung braucht einen behutsamen Umgang, denn es ist ein großes Wunder, das wir an Weihnachten feiern dürfen: Gott wird ein Mensch. In diesem Jahr 2025 haben wir an das Konzil von Nizäa gedacht und das Glaubensbekenntnis gewürdigt, das im Jahr 325 n. Chr. – also vor 1700 Jahren – dort durch über 300 Bischöfe formuliert worden ist. Dazu gehört auch das Bekenntnis: „Geboren von der Jungfrau Maria“. Gott wird ein Kind, das in einer Armseligkeit geboren wird und weiterhin im ganzen Leben die Armut gespürt hat – auch durch die Ablehnung seiner Frohen Botschaft. „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11).
Weihnachtslieder können wir gern aus voller Kehle singen, aber wir müssen dabei mit bedenken, dass der christliche Inhalt des Weihnachtsfestes für viele Zeitgenossen ein Mysterium bleibt. Wenn wir Christen aber mit Freude dieses Fest begehen, dann kann dadurch etwas von der Zuversicht weiterleuchten, die uns diese Botschaft vermitteln möchte: „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um (dem Kind) zu huldigen“ (Mt 2,2).
Auf dem Domplatz steht die Heilige Familie in einem Stall. Im Dom steht sie auf einer freien Fläche vor dem Adventskranz, der - aufgerichtet hinter den Krippenfiguren - an die Erwartungszeit des Advents erinnert. Wir haben am Heiligabend wieder das Ziel unserer Sehnsucht erreicht: Das Kind in der Krippe. Ich hoffe, dass viele Besucher und Besucherinnen des Weihnachtsmarktes an den Weihnachtstagen entdecken: „Hier ist die Botschaft von der Menschwerdung Gottes zu Hause!“ Wir Christen sollten sie an diesen Tagen mit unseren Liedern und dem Brauchtum in die Welt bringen, so wie Jesus Christus in der Welt ankommen wollte, um sie zu verwandeln und froh zu machen.
Von Herzen wünsche ich gesegnete Weihnachtstage!
Weihbischof Dr. Reinhard Hauke
Weihnachtsgruß des Präses der Sudetendeutschen
Liebe Freunde,
unsere Welt taumelt von Krise zu Krise: Corona, Ukraine-Krieg, der Krieg im Heiligen Land, Klimawandel, Konflikte in Afrika etc.
Von der Krise unserer Kirche wollen wir gar nicht sprechen – ein schwieriges Jahr liegt hinter uns, wird es 2026 besser?
Als Jesus geboren wurde, gab es auch Krisen genug. Im jüdischen Palästina rang man um Unabhängigkeit. Die Römer setzten mit Gewalt im ganzen römischen Reich ihr Recht (Pax romana) durch!
„Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“ wieder in unruhige, krisengeschüttelte Tage!
Ich wünsche mir von Herzen, dass uns der Glaube an die Geburt des Sohnes Gottes Halt gibt in dieser krisenreichen Zeit.
Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und die Freude dieser Tage für das ganze Jahr 2026.
Bleiben Sie gesund und seien Sie Gott befohlen!
Dank für Ihren Glauben in diesen schwierigen Zeiten!
Mögen Sie die Nähe Gottes an jedem Tag des neuen Jahres 2026 verspüren.
Ihr
Dieter Olbrich
Präses der Sudetendeutschen
Drei Weihnachtskrippen von Pepp Grimm
Vor allem in katholischen Gebieten ist es seit Jahrhunderten Brauch, zu Weihnachten in den Kirchen und zu Hause in den Wohnzimmern eine Krippe mit der Heiligen Familie, mit Hirten, Ochs und Esel und Schäflein aufzustellen. Am Dreikönigstag kommen noch die Heiligen Drei Könige dazu. Im vorwiegend katholischen böhmischen Teil des Erzgebirges waren es passend zur Landschaft Waldkrippen.
Als im Verlauf des Jahres 1946 klar wurde, dass wir aus unserer Heimat im Sudetenland gewaltsam vertrieben würden, überlegten meine Eltern, was sie in dem erlaubten Gepäck von 30 oder 50 oder 70 kg pro Person mitnehmen sollten. Außer dringend benötigten Kleidungs- und sonstigen Wäschestücken, Schuhen, Decken, Geschirr, Hygieneartikeln und Urkunden sollten es auch Andenken an die Heimat sein.
Für die ganze Weihnachtskrippe war kein Platz, so nahmen meine Eltern nur die Kernfiguren Jesus, Maria und Josef mit. In den ersten provisorischen Nachkriegsquartieren mussten diese 3 Krippenfiguren an Weihnachten ausreichen. Als nach einigen Zwischenstationen Offingen an der Donau im bayerischen Landkreis Günzburg unsere neue Heimat wurde, baute mein Vater Pepp Grimm einen Stall aus dem Gedächtnis, wie er zu Hause im Abertham in der Kirche zu den Heiligen 14 Nothelfern war. (Die Krippe in der Aberthamer Kirche ist bis heute unversehrt erhalten). Die weiteren Krippenfiguren kaufte er dann passend zu den Kernfiguren in der damaligen Buchhandlung Auer in Donauwörth, die auch Andachtsartikel führte. Zum Weihnachtsfest 1950 erstrahlte dann in unserer damaligen spärlichen Wohnung, einem umgebauten Schweinestall „In der Steige“ in Offingen zum ersten Mal wieder „onner Krippl“, wie es früher in Abertham war. Es hat seitdem mehrere Umzüge und den Tod der Eltern überlebt und ist seit 1986 unsere Familienkrippe in Augsburg, wo wir sie jedes Jahr im Wohnzimmer beziehungsweise. im Wintergarten von Weihnachten bis Dreikönig aufbauen.
Für meine Schwester Rosl, die 1953 für eine bessere Zukunft in die Schweiz zog, baute er eine Krippe im ähnlichen Stil. Da in der Schweiz offenbar der Brauch einer Weihnachtskrippe nicht verbreitet ist, erhielt ich nach dem Tod meiner Schwester die Krippe von meinen Schweizer Verwandten zurück. Inzwischen baue ich sie zu Weihnachten abwechselnd mit unserer Familienkrippe auf.
Im schwäbischen Offingen, wo wir nach der Vertreibung in Zwischenaufenthalten in einem Turnhallenlager in München und auf einem Bauernhof in Kronacker bei Hohenlinden letztendlich auf Dauer landeten, gab es in der katholischen Kirche St. Georg keine Weihnachtskrippe. Mein Vater baute für die Kirche eine Krippe nach dem erzgebirgischen Muster, kaufte die Figuren dazu und spendete sie der Kirchengemeinde. Dort wird sie bis heute jedes Jahr zu Weihnachten aufgebaut. So gibt es also in Augsburg zwei und in Offingen eine Erzgebirgskrippe von Pepp Grimm.
Josef Grimm
Rabbiner Pinkas Hauser aus der jüdischen Gemeinde von Muttersdorf
Am 26.Oktober diesen Jahres waren es 60 Jahre, dass die Erklärung „Nostra aetate“ (lat. für „In unserer Zeit“) über die Haltung der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen vom 2.Vatikanischen Konzil verabschiedet wurde. Darin wurden vor allem die besonderen Beziehungen zwischen Judentum und Christentum als dessen Wurzeln betont und Antisemitismus sowie jede Form von Diskriminierung verurteilt – im Unterschied zur bis dahin gängigen Sichtweise und Praxis.
Ein etwa hundert Jahre älteres Zeugnis des Blicks eines jüdischen Rabbiners auf die katholische Kirche findet sich im sog. Memorabilienbuch von Plöß/Pleš (ehem. Kreis Bischofteinitz – heute Kreis Taus/Domažlice) – begonnen 1836, aber rückblickend noch auf Vorgänge ab 1787. Dort ist am Buchanfang ein interessantes Schriftstück eingeklebt: ein nicht datierter Brief an Bischof Valerian Jirsik - Bischof von Budweis 1851-1883. Heute lässt sich nicht mehr nachvollziehen, wie dieser Brief nach Plöß kam und wann und warum ihn welcher der Seelsorger hier eingefügt hat. Doch vermutlich erging es ihm wie dem Autor dieser Zeilen – ihm wurde die besondere Bedeutung und „Rarität“ des Inhalts schon damals bewusst. Warum?
Verfasser dieses Briefes ist Rabbiner Pinkas Hauser aus der jüdischen Gemeinde von Muttersdorf (Mutěnin), in der Nähe von Plöß gelegen. Im überschwänglich-devoten Ton dieser Zeit gegenüber hochgestellten Personen schreibt er:
Sr. Exzelenz
dem Hochwürdigsten Wohlgeborenen Herrn
Valerian Jirsik
Bischof der Budweiser Diözese
Hochwürdigster Herr Bischof
Hochwürdigster gnädiger Herr!
Nicht heuchelnder Abtrünnigkeit von seinem väterlichen Glauben, sondern die innigste Liebe eines im wahren Sinne strengen Israeliten gegen seine verschwesterte christliche Religion gab dem gehorsamst Gefertigten - der stets seine Glaubensgenossen Nächsten- und Vaterlandsliebe belehrte, welches ihm auch von seiten des katholischen Priesterthums documentiert wurde - durch selbige Zeilen seine unterthänigste Aufwartung im Namen seiner Gemeinde Eurer bischöflichen Gnaden ehrfurchtsvoll zu machen.
Dann steht dort rechts in hebräischen Buchstaben ein "Segensgebet". Der Rabbi selbst hat es am linken Rand auf deutsch übersetzt:
Freue dich und frohlocke, Diözese Budweis!
Denn dein gnädiger Bischof ist hoch gerühmt
seine Gefühle gegen die Armen sind sehr heiß,
welches auch Israel zu preisen geziemt.
Nehme gütigst unsern Segen
als Wunsch zur glücklichen Reise
die wir von Herzen hegen
auf ehrfurchtsvolle Weise.
von Pinkas Hauser
Rabbiner zu Muttersdorf
Welchen in der Tat „erinnerungswürdigen“ Inhalt dieser Brief überliefert, das mag man daran ermessen: es ist die Zeit von Pius IX. (Papst 1846-1878). Im von ihm regierten Kirchenstaat mussten Roms Juden weiterhin im Ghetto leben. Der jüdische Talmud war auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Nachdem die Juden mit dem Ende des Kirchenstaates 1871 die formelle rechtliche Gleichstellung mit allen anderen Bürgern des Königreichs Italien erhalten hatten, hat sich Pius IX. in Predigten und Ansprachen zu hasserfüllten Tiraden gegen die Juden hinreißen lassen. Und am Karfreitag – auch in Muttersdorf - wurde noch bis Mitte des 20.Jhh. in allen katholischen Gottesdiensten bei den „Großen Fürbitten“ gebetet:
„Allmächtiger, ewiger Gott, der du sogar die treulosen Juden von deiner Erbarmung nicht ausschließest, erhöre unser Flehen, das wir ob der Verblendung jenes Volkes dir darbringen: auf dass es das Licht deiner Wahrheit, welche Christus ist, erkenne und seinen Finsternissen entrissen werde....“
Auf der anderen Seite versichert hier ein Rabbiner dem katholischen Bischof „die innigste Liebe eines…..Israeliten gegen seine verschwesterte christliche Religion“ – und schickt ihm seinen Segen.
Ihrerseits hat sich – wie anfangs erwähnt - in dieser „verschwesteren christlichen Religion“ als katholischer Kirche erst 100 Jahre später diese Erkenntnis durchgesetzt.
Wer war dieser Rabbiner Pinkas Hauser? Einige wenige Umrisse seines Lebens lassen sich noch erkennen.
Anlass für den Segensbrief mag vielleicht der Amtsantritt des Rabbiners 1858 in Muttersdorf gewesen sein oder – wenn die im Segen erwähnte „glückliche Reise“ wörtlich zu verstehen ist – die Reise des Bischofs nach Rom zum 1.Vatikanischen Konzil 1870.
Pinchas Hauser wird am 10.6.1808 in Großschwelis bei Jungbunzlau in einer jüdischen Familie geboren; beim Vater heißt es „Handelsjude“. Über seine Ausbildung und frühen Dienstjahre kann bisher nichts gesagt werden. Spätestens 1852 lebt er, verheiratet spätestens seit 1833 und vermutlich als Rabbiner in Deutsch-Rust. Dies ist ein Ort mit damals ca. 600 Einwohnern am Rande des Duppauer Gebirges - mit einer jüdischen Gemeinde, die um diese Zeit etwa 50% der Bevölkerung ausmachte. Daher wurde dort unter ihm 1856 erstmals ein jüdischer Friedhof angelegt.
In Deutsch-Rust werden die beiden jüngsten seiner zehn Kinder – Ferdinand 1852 und Auguste 1854 geboren. Auguste, verheiratete Klein, wurde zu einem der Millionen jüdischer Opfer der Naziherrschaft – ebenso wie viele Enkel des Rabbiners u.a. in den KZ Auschwitz und Treblinka. Als alte Frau starb Auguste im 88.Lebensjahr an den Folgen der Haft im KZ Theresienstadt am 24.8.1942 um 16.00 Uhr laut dem erhaltenen Totenschein – an „Herzmuskel-Entartung“, wie der Lagerarzt Dr.Alfred Mark notiert hat. Von ihren beiden Kindern erlitt ihre Tochter Margarethe das gleiche Schicksal nach 1942 im Zwangsarbeitslager Trawniki, einer Außenstelle des KZ Treblinka – Sohn Dr.Paul Klein in Karlsbad gelang die Flucht in die USA, wo er 1966 starb.
Von 1858 bis 1882 lebte Pinkas Hauser dann mit seiner Familie in Muttersdorf und versah hier seinen Dienst als Rabbiner. In seiner Zeit hatte man 1860 die alte hölzerne Synagoge von 1663, also noch aus der Entstehungszeit der dortigen jüdischen Gemeinde, abgerissen und durch einen Neubau aus Stein an gleicher Stelle ersetzt. Deren „Bauunternehmer“ war ein Georg Halla – ob er identisch ist mit einem Spitzenhändler gleichen Namens jener Zeit in Hostau und Muttersdorf, lässt sich akuell nicht sagen.
Der Tempel hatte acht Fenster und zwei Rundfenster, maß im Inneren 12 x 10 m mit 8 m hohem Gewölbe. Es gab einen beheizten Wintergebetsraum und im Vorraum einen Ofen zum Backern der Matzen. Obwohl erst 1923 renoviert, wurde sie in der Nazizeit nach 1938 zerstört. Der Friedhof am Schafberg mit ca. 1.150 m² Fläche ist großteils erhalten und wurde nach der Wende schön restauriert.
Wegen der ab 1900 beginnenden Abwanderung in größere Städte kam es bereits 1938 zur Auflösung der selbständigen Gemeinde; 1939 lebte in Muttersdorf nur mehr eine jüdische Familie – Geschäftsmann Isidor (56 J.) und Maria Beck (45 J.) mit Tochter Hanna (17 J.), die alle Opfer der Shoa wurden.
1882 – mit 74 Jahren – beendete Hauser seinen Rabbinerdienst und zog nach Teplitz-Schönau, wo sein Sohn Ferdinand lebte. Dieser war - so erfahren wir bei dessen Tod 1929 - Seniorchef und Mitbegründer der Firma J.& W.Hauser in Teplitz-Schönau/Langegasse – Haus „Zum Goldenen Lamm“, eines Galanterie- und Posamentiergeschäfts, das u .a. Sonnen- und Regen-Schirme verkaufte.
Schon 1883 starb hier Hausers Frau Babette - er selbst dann 83-jährig am 16.9.1891 und wurde zwei Tage später am jüdischen Friedhof in Teplitz bestattet. Erhalten blieben die Todes- und Dankanzeige seiner Familie für ihn – und im fernen, heute längst untergegangenen Plöß sein Segensbrief an Bischof Jirsik von der „verschwesterten christlichen Religion“.
Klaus Oehrlein
Anton Tscherney – Pfarrer und Heimatforscher aus Nordböhmen
1855 wurde Schnauhübel bei Schönlinde zu einer eigenständigen Pfarrei erhoben. Im Laufe der Jahre wirkten in dem einst berühmten Wallfahrtsort drei Priester – Gustav Gruner, Anton Tscherney und Wenzel Born. Der zweite von ihnen war nicht nur Pfarrer, sondern auch ein eifriger Heimatforscher. Ihm ist dieser Beitrag gewidmet.
Anton Tscherney wurde am 24. Mai 1845 im Haus Nr. 15 in Schwaden geboren, wo er auch seine Schulausbildung erlangte. Da er in das Mariascheiner Knabenseminar nicht aufgenommen wurde, besuchte er das Gymnasium in Leitmeritz, hatte jedoch mit Lernschwierigkeiten zu kämpfen. Des jungen Antons nahm sich daher der Pfarrer Josef Haschke aus Böhmisch Pokau bei Aussig an, der ihn auf das Studium in Mariaschein vorbereitete. Beim zweiten Versuch meisterte er das Aufnahmeverfahren ohne Probleme und schloss mit dem Abitur ab. 1866 trat er in das Priesterseminar in Leitmeritz ein und am 23. Juli 1870 wurde er zum Priester geweiht.
Tscherney reiste gern. Gleich nach seinem Abitur 1866 durchwanderte er Nordböhmen und besichtigte zur gleichen Zeit wie der tschechische Schriftsteller Alois Jirásek das noch „frische“ Schlachtfeld der großen Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich am 3. Juli 1866 bei Königgrätz. Später besuchte Tscherney auch Bayern, das Rheinland, Tirol und Salzburg. Im Jahr 1876 unternahm er eine – für seine Zeit – große Pilgerreise nach Rom, während der er weiter bis nach Neapel kam.
Anton Tscherney wirkte ab 1870 zunächst als Kaplan in Zirkowitz und Triebsch im böhmischen Mittelgebirge. Zur gleichen Zeit gab er den Kindern in Tschersing und Birnai Religionsunterricht. In den Jahren 1872 bis 1875 war er als Kaplan in Krima im Bezirk Komotau tätig. Die folgenden sieben Jahre verbrachte er in derselben Funktion in Komotau. Dort fand er Muße zur Heimatforschung. Sein Vorgesetzter, der Komotauer Dekan Dr. Anton Jarisch, gab neben Gedichten auch einen lokalen Volkskalender heraus. Unter seinem Einfluss begann sich Anton Tscherney systematisch mit Heimatkunde zu beschäftigen und sammelte an allen seiner Wirkungsstätten Unterlagen zur regionalen Geschichte. Zu dieser Zeit begann er Beiträge für die Aussiger „Elbetalzeitung“ zu verfassen und lieferte auch Artikel für die heimatkundlichen „Skizzen aus dem Elbtal“.
Nach seinem Weggang aus Komotau 1882 war er in Peterswald und Polaun im Isergebirge tätig. Sein wichtigstes Werk ist die zweibändige Heimatkunde „Schwaden an der Elbe“ mit insgesamt 693 Seiten, die 1894 und 1900 in Aussig erschien. Zu seinen weiteren Werken gehört beispielsweise der „Beitrag zur Geschichte der Stadt Türmitz“, der 1909 veröffentlicht wurde.
Sein letzter Wirkungsort war Schnauhübel bei Schönlinde, wo er von 1883 bis zu seinem Tod am 25. Oktober 1927 Pfarrer war. An diesem zauberhaften Ort inmitten schöner Natur verbrachte er den größten Teil seines Lebens – unglaubliche 44 Jahre. Hier konnte er auch sein 50-jähriges Priesterjubiläum feiern. In der Zeit seines langen Wirkens erwarb er sich nicht nur die Liebe seiner Pfarrkinder, denen er zwei Generationen lang als geistlicher Begleiter diente, sondern auch die Anerkennung seiner kirchlichen Vorgesetzten, denn er wurde zum Personaldechant, zum bischöflichen Notar und zum Konsistorialrat ernannt. Einige Jahre gehörte er auch dem Gemeinderat in Wolfsberg an, wohin Schnauhübel gehörte.
Es ist schade, dass Tscherneys schriftlicher Nachlass nur bruchstückhaft erhalten blieb. Leider verwendete er für seine Notizen Stenografie, so dass sie für heutige Forscher schwer lesbar sind. Tscherneys umfangreiche Bibliothek gelangte nach seinem Tod durch die Fürsorge des Archivars Franz Josef Umlauft von Schnauhübel nach Aussig und ist heute Teil der Bibliothek des Stadtarchivs Aussig.
Dass Anton Tscherney die Herzen seiner Gemeindemitglieder gewann, bezeugen Erinnerungen von zurückgebliebenen Deutschen, die noch vor fünfzig Jahren (vielleicht nach den Erzählungen ihrer Eltern) berichteten, wie rührend er sich in Zeiten der Not um die Witwen der im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten kümmerte. Einige alte Frauen pflegten damals noch sein Grab und schmückten es bis zu ihrem eigenen Ableben mit Blumen.
Heute ist Anton Tscherney in Schnauhübel und Umgebung vergessen, nur die Grabplatte und das Grab, in dem er zusammen mit seiner Schwester Wilhelmina ruht, die ihm jahrelang als Haushälterin zur Seite stand, blieben erhalten. Auch zum Fest Mariä Schnee am 5. August versammeln sich jedes Jahr nur eine Handvoll Menschen zum Gottesdienst. Zu Zeiten des größten Pilgerstroms waren es Tausende!
Ganz vergessen wurde Tscherney nicht – oberhalb seines Heimatdorfes Schwaden benannten Heimatforscher unter der Leitung von Karel Punčochář im Jahr 2020 einen Aussichtspunkt nach ihm. Sie stellten dort auch eine Bank mit einer geschnitzten Figur Tscherneys auf. Von der Aussichtsplattform hat man einen weiten Blick auf das darunter liegende Schwaden, über das Elbtal zum Marienberg und zur Stadt Aussig bis zum fernen Erzgebirge. Manche Sterne am Nachthimmel leuchten noch lange, obwohl sie längst erloschen sind. Das gilt nicht nur für Sterne, ähnlich verhält es sich auch mit guten Menschen, zu denen Anton Tscherney gehörte.
Petr Karlíček und Karl Stein
Quelle: "Aussiger Bote" in der „Sudetendeutschen Zeitung“ vom 7.11.2025, S. 20