Vorwort des Vorsitzenden

Liebe Mitglieder und Freunde des Sudetendeutschen Priesterwerks!

„Ich hab da schon mal was vorbereitet.“ Mit diesen Worten verkürzen Fernsehköche oft die Wartezeit, um ein Rezept nahtlos fertig zuzubereiten, das eigentlich einen Teil Wartezeit beinhaltet. „Wir haben da schon mal was vorbereitet“ habe ich mir neulich im Gottesdienst gedacht, als ich gesehen hab, was jetzt reihenweise an den Haken in den Bänken hängt: die abgelegte Maske. Der neuerliche Teil-Lockdown – und natürlich kommen wir auch in Ausgabe 2020-4 unserer „Mitteilungen“ nicht ohne diesen aktuellen Bezug aus – behandelt uns diesmal als Kirche um einiges pfleglicher als im Frühjahr. Nicht jedes Bundesland, nicht jedes Land (unser Heft geht ja auch an Bezieher außerhalb der Bundesrepublik Deutschland!) hat hier die gleichen Regeln. Als Bayer bin ich sehr dankbar, dass der Wert der Versammlung in der Kirche anders gesehen wird als noch an Ostern, als man einfach mal alles dicht gemacht hat. (Ähnlich jetzt ja auch bei Kitas und Schulen.)
Was macht diesen Mehrwert der Kirche aus, auch in einer Gesellschaft, die schon zu einem guten Teil nicht mehr kirchlich geprägt ist und in der auch die Kirchen ihre Mitglieder nur noch zu einem geringen Teil regelmäßig sammeln? Ganz einfach: „Wir haben da schon mal was vorbereitet!“ Selbst wenn es für viele Mitmenschen nicht mehr plausibel ist, zu glauben, selbst wenn man ansonsten mit Kirche nur noch Skandale verbindet, hallt in Vielen noch die Ahnung nach: da gibt es Trost, da macht etwas „Sinn“. Natürlich treibt auch die Glaubensstarken die Frage nach dem „Warum?“ im Leben um, aber sie kommen gefühlt eben auch einer Antwort näher, wenn Sie sie nicht in den leeren Raum, sondern in die Resonanz der Glaubensgemeinschaft Kirche hinein stellen, in der sich Gott erfahrbar macht.
Von Verlust ist in diesen Wochen die Rede, von Abbruch und Verunsicherung, von Hilflosigkeit und Not, die über alle kommt. Lauter Vokabeln, die in der Biographie unseres Sudetendeutschen Priesterwerks am Anfang stehen. Genauso gut können wir aber vom Mut berichten, von der Solidarität, von der Hoffnung, dem Neuanfang, der Zuversicht und natürlich der Kraft des Glaubens. Welche Kirchenjahreszeit würde sich besser dafür eignen als der Advent, dem unser Mitglied, Bischof Dr. Voderholzer aus Regensburg in seiner Ansprache zum Wolfgangsfest 2020 eine echte geistliche „Chance“ eingeräumt hat, wenn so manches Drumherum, das man sich in den letzten Jahren angewöhnt hat, heuer eben nicht stattfinden kann?
Nicht zuletzt ist ja die Botschaft des Weihnachtsfestes, dass es nicht darum geht, ob die Welt eine Herberge hat, ob wir IHM „etwas vorbereitet“ hätten, sondern dass vielmehr ER für uns etwas vorbereitet hat. Egal, ob Sie an Weihnachten allein oder auf einen Hausstand beschränkt sind, ob wir uns in der Kirche sehen können oder nicht. Dies sollten wir auf allen möglichen „Kanälen“ verkünden: Gott ist mit uns.

Ihr
Regionaldekan Holger Kruschina
Vorsitzender des SPW

Weihnachtsgruß des Vertriebenenbischofs

Ins Licht schauen und Wünsche erkennen

Das Friedenslicht von Betlehem kommt in den Weihnachtstagen an viele Orte in der Welt. Eigentlich ist es nur eine kleine Flamme, aber sie hat eine große symbolische Bedeutung. Das Licht wird in der Geburtsgrotte in Betlehem entzündet und kommt dann auf vielen unterschiedlichen Wegen zu Menschen, die darin mehr erkennen als nur eine kleine Flamme, die in der Geburtsgrotte entzündet wurde.
Das Licht verbindet Menschen, die von der Geburt Jesu als des Erlösers aller Menschen bewegt und berührt worden sind. Wo dieses Licht entzündet wird, soll ein Ort des Friedens und der Versöhnung sein. Junge und ältere Menschen tragen das Licht in ihre Wohnungen, wie wir es auf unserem Foto sehen. Es zeigt eine ältere Dame, die schon seit vielen Jahren dieses Friedenslicht in ihre Wohnung in einem Altenheim holt. Wir sehen ihren frohen und nachdenklichen Blick, als ob sie sagen möchte: „Was bringst du mir in diesen Weihnachtstagen für eine Nachricht?“ Sicherlich wird sich äußerlich am Leben der älteren Dame nichts ändern. Sie bleibt mit Sicherheit in ihrer Wohnung im Altenheim, denn sie braucht eine Betreuung. Aber innerlich ändert sich etwas. Sie schaut über den „Tellerrand“ ihres Lebens hinaus und denkt nicht mehr an die Sorgen des Alters, sondern schaut auf das Kerzenlicht aus einem fernen Land, das ihren Lebenshorizont weit macht.
Weihnachten ist von einer Botschaft erfüllt, die den Horizont unseres Lebens weit machen kann: Gott sendet uns seinen Sohn und bringt damit seinen Willen zum Ausdruck, endgültig einen bleibenden und dauerhaften Bund mit uns Menschen einzugehen. Was bisher aufgrund der Schwachheit der Menschen nicht gelungen ist, dass es einen dauerhaften Frieden zwischen Himmel und Erde geben kann, soll nun durch den Gottessohn, der Mensch wird, möglich werden. Stellvertretend sagt Jesus Christus als Mensch zu Gott das Ja des Bundes und öffnet damit den Himmel für uns Menschen, die im und vom Wohlgefallen Gottes leben.
Mit dem Licht von Betlehem kann auch in dieser besonderen Zeit und unter den besonderen Umständen, unter denen wir im Jahr 2020 Weihnachten feiern, die Botschaft vom Frieden Gottes mit uns Menschen in alle Zimmer und an alle Orte gebracht werden, an denen sich Menschen aufhalten, die noch Sehnsucht nach einem besseren und schöneren Leben haben, als sie es derzeit erfahren. Wir schauen in die Flamme einer Kerze, werden still und horchen in uns hinein, welche Fragen und Wünsche wir haben. Viele Kinder schreiben diese Wünsche auf Wunschzettel und beauftragen ihre Eltern, dem Christkind diese Wünsche zu übermitteln. Jeder von uns kann einen Wunschzettel persönlich bei Christus abgeben, wenn wir unsere Wünsche erkannt, im Licht der Kerze geprüft und dann im Gebet übermittelt haben. Im Jahr 2020 wünsche ich mir natürlich besonders, dass es auch wieder ein „Weihnachten wie bisher“ einmal geben wird. Mehr noch aber wünsche ich mir, dass Frieden einkehrt in unsere Herzen und in die Herzen aller Menschen in der Welt, damit Kriege, Vertreibungen, Flucht und Ungerechtigkeiten endlich aufhören.
Beten Sie mit mir und vertrauen Sie auch Ihre geheimsten Wünsche dem göttlichen Kind an. Mit Sicherheit bringt es Licht in Ihr Leben.
Ein gesegnetes Weihnachtsfest und die Freude am neuen Leben durch das Kind von Betlehem wünscht von Herzen

Weihbischof Dr. Reinhard Hauke

Weihnachtsgruß des Präses der Sudetendeutschen

Liebe Mitchristen,

fünf Sterne – eine solche Auszeichnung für ein Hotel, eine Ferienregion bedeutet eine Klasse für sich – etwas ganz Besonderes.
Ein Patron der böhmischen Länder wurde auch mit fünf Sternen ausgezeichnet. Wir kennen seine Figur meist von Brücken, über bzw. auf denen sie angebracht ist. Dazu meist ein Kreuz in der Hand und er trägt ein Rochett und das Birett. Er ist der klassische „Brückenheilige“. Die Rede ist vom heiligen Johannes-Nepomuk. Als Priester und bischöflicher Vikar geriet der in Westböhmen (in Pomuk/Nepomuk) geborene Sohn eines Notars in die machtpolitischen Auseinandersetzungen mit seinem König, wurde zum Tode verurteilt und in Prag von der Karlsbrücke in die Moldau gestürzt (1393).
Die Legende erzählt: Der im Wasser Treibende soll von fünf Flammen umsäumt gewesen sein. Eine andere Legende erzählt, die Moldau wäre ausgetrocknet, so dass die Leiche des Heiligen sichtbar wurde. Mit den fünf Flammen verbindet sich das lateinische Wort „Tacui“ – ich habe geschwiegen, was sich auf die Überlieferung vom Beichtgeheimnis bezieht.
Wir feiern zu Weihnacht – in der Zeit der Dunkelheit – das „strahlende Licht aus der Höhe, das allen leuchtet, die in Finsternis sitzen, das unser Schritte lenkt auf dem Weg des Friedens“ (vgl. Lk 2,78f). Mit wie vielen Sternen wir „ausgezeichnet“ sind, spielt keine Rolle, wohl aber spielt eine Rolle; dass sie leuchten!
Und jeder Stern ist wichtig, jede Hand, jede Minute Zeit, jedes Lächeln in dieser Corona-Zeit.
Ich sage Ihnen Dank für ihre Treue und wünsche Ihnen von Herzen eine Weihnacht voller Sterne und reichen Segen für ein gemeinsames neues Jahr.

Ihr Dieter Olbrich

Vertreibungsberichte sudetendeutscher Priester

Seit 1947 hatte das Priesterwerk der Königsteiner Anstalten alle erreichbaren vertriebenen sudetendeutschen Priester angeschrieben und um Berichte zur Vertreibung gebeten .Es hieß in dem Anschreiben:
„Ein Gesamtbild der Austreibung aus unserer alten Heimat hat sicherlich nicht nur für jetzt, sondern auch für spätere Zeiten einen großen Wert. Wir möchten Sie deshalb bitten, einen Bericht über die Zeit vom Kriegsende bis zu Ihrer persönlichen Ausweisung zu schreiben. Er soll folgendes enthalten:
1.    Als Einleitung eine ganz kurz gehaltene Beschreibung der Gemeinde, Größe, deutsch oder wenn zweisprachig, zu wie viel Prozent deutsch, wie viele Katholiken, Land oder Industriegemeinde.
2.    Die Ereignisse in ihrem Ablauf, soweit Sie sich an sie erinnern und die Angaben vor dem Gewissen verantworten können.
3.    Ungefähre Zahl der Toten, davon Selbstmorde, Verschleppungen, Lager, andere Drangsalierungen, Verhalten der tschechischen Mitbrüder usw.
4.    Persönliche Erlebnisse zu zum Tage der Ausweisung, die Ausweisung selbst, die Aufnahme im Reich.

5.    Besondere Ereignisse.
Wenn Bildmaterial über die Gemeinde, besonders über ihre Kirche vorhanden ist, bitten wir wenigstens teilweise um Überlassung. Wo notwendig, sollen kleine Kartenzeichnungen Geschildertes erläutern.“

Die eingegangenen Berichte von Priestern aus dem Sudetenland liegen in Ordnern nach Diözesen geordnet: Prag, Leitmeritz, Königgrätz, Budweis, Olmütz, Brünn und Breslau. Die Berichte sind nicht vollständig, da nicht jeder Priester antwortete. Die erhaltenen Berichte reichen von wenigen Zeilen bis 20 Seiten, oft auf schlechtem Papier geschrieben, auf die Rückseite von Landkarten, handschriftlich, in Stenographie, nur manchmal mit der Schreibmaschine.
Bisher sind nur die Berichte aus dem Schönhengstgau in Buchform erschienen.
Prof. Rudolf Grulich hat sie für den Schönhengster Heimatbund unter dem Titel „Zeitzeugen der ethnischen Säuberung 1945/46. Katholische Priester berichten aus dem Schönhengstgau“ veröffentlicht.
Er hat uns einige Berichte zur Verfügung gestellt, die wir in dieser und in den nächsten Ausgaben der „Mitteilungen“ abdrucken, ganz unbearbeitet in ihrer ursprünglichen Fassung.

Bericht von Anton Stenuf

Er war Katechet und erzbischöflicher Konsistorialrat, wohnhaft Karlsbad Nr. 1288, geboren 1. Jänner 1881 in Widlitz und geweiht am 29. Juni 1904.
Gestorben am 27. April 1964 in Ebenhausen.

1. Mein letzter Dienstort: der Weltkurort Karlsbad, deutsch, 53.000 Einwohner, ca 80% Katholiken
2. Der Schulunterricht, wegen wachsender Luftgefahr sehr erschwert, hat nach dem 19. April 1945 ganz aufgehört. An diesem Tage um die Mittagsstunde hat ein Großangriff den Hauptbahnhof und einen großen Teil der Vororte Fischern und Donitz zerstört. Große Menschenverluste.
Durch die feindliche Besetzung hat die Stadt selbst nicht mehr gelitten, weil der Gauleiter Tschörner zuletzt die Nichtverteidigung verkündet hatte.
7. Mai Einmarsch der Russen. Durch Plünderungen und Vergewaltigungen hatte die Bevölkerung sehr schwer zu leiden. Dagegen wurden die Kirchen nicht angetastet und auch der Gottesdienst nicht gestört. Beschwerden erfolglos, der Besatzung wurde augenscheinlich die Stadt zur Plünderung überlassen.
3. Zahl der Toten ist mir nicht bekannt, jedenfalls sehr hoch. Auf dem Friedhof füllten sich Massengräber, zunächst ohne kirchliche Einsegnung, weil die Besatzung jeden Zutritt zum Friedhof verhinderte. Einsegnung wurde später nachgeholt.
Zahl der Selbstmorde sehr hoch, jedenfalls viele Hundert, manche Stimmen sprachen von 1000. Gründe: Furcht vor Strafe, brutale Vertreibung von Haus und Besitz durch die Č., Verzweiflung an der Zukunft. Abtransport in Lager an der Tagesordnung. Das Verhalten der č. Mitbrüder war, so weit ich es weiß, korrekt.
4. Ich blieb in Karlsbad bis 17. Juli 45. Dann wegen sehr mangelhafter Ernährungsmöglichkeit (Gasthaus) in meine Heimat Wiedlitz, Kr. Bischofteinitz, Diöz. Regensburg, und blieb hier, im Orte (Filialkirche) und Umgebung aushelfend, bis zur Ausweisung am 31. Mai 1946. Ich mußte deswegen fort, weil ich nicht Pfarrer war.
Mein Transport mit allen seinen „Annehmlichkeiten“ landete in Meitingen b. Augsburg. In dem č. Lager Holleischen durfte niemand zum Sonntagsgottesdienst, auch ich nicht, das Lager verlassen.
Ich fand die ersten 10 Tage liebevolle Aufnahme b. Pfarrer, Meitingen, und kam dann nach Ehingen b. Nordendorf als Aushelfer zum dortigen Pfarrer. Auch hier hatte ich während eines halben Jahres nicht zu klagen. Seit 3./1. 47 bin ich Hausgeistlicher in einem Schwesternheim Zell-Ebenhausen, Erzd. München-Freising.
5. Nach meinem Weggang von Karlsbad – ich wollte nach einigen Wochen Erholung wieder zurückkehren – hat sich ein č. Parteisekretär in meine Wohnung, 2 Zimmer mit eigener Einrichtung, hineingesetzt und war nicht mehr hinauszubringen. So habe ich Karlsbad nicht mehr gesehen.

16./6.48         Mit hz. Grüßen                    Anton Stenuf

Die Aktion K und ihre Folgen

Nach der Machtübernahme in der Tschechoslowakei durch die Kommunisten im Februar 1948 steuerte relativ kurz danach das neue Regime einen repressiven Kurs gegen die katholische Kirche. Katholische Publikationen wurden verboten, katholische Verlage beschlagnahmt, katholische Schulen geschlossen. Praktisch alle Vertreter des Episkopats wurden allmählich observiert, verfolgt und interniert und so in ihrer Freiheit in verschiedenen Abstufungen eingeschränkt.[1] Einer der härtesten Schläge kam im Oktober 1949 durch eine Reihe von Religionsgesetzen: Man gründete ein staatliches Amt für Kirchenangelegenheiten und ein Gesetz regelte „die wirtschaftliche Sicherung der Kirchen“, was, euphemistisch gesagt, die volle politische und ökonomische Unterordnung der Kirche unter den Staat bedeutete. Mit den beginnenden fünfziger Jahren zeigte sich dann insbesondere die Härte der konkreten Verfolgungsmaßnahmen gegen mögliche Vertreter der Kirchenopposition aus den Reihen der Laien und Priester. Den Beginn der großen repressiven Schritte können wir in der Reaktion auf das sogenannte „Wunder von čihošť“ finden. Am Sonntag, dem 11. Dezember 1949, neigte sich während der Messe das Kreuz über dem Allerheiligsten in der Kirche von Čihošť im Landkreis Havlíčkův Brod. Die Nachricht über das Ereignis verbreitete sich rasch und am 28. Januar 1950 wurde Pfarrer Josef Toufar verhaftet und in die Strafanstalt Valdice in Ostböhmen gebracht. Die Ermittlungsbeamten wollten durch Folter sein Geständnis erzwingen, dass er das ganze „Wunder“ in Zusammenarbeit mit einem Vertreter des Vatikans vorbereitet habe. Josef Toufar starb an den Folgen der langfristigen Misshandlungen, ohne jedoch zu gestehen.2 Damit entging er einem großen Prozess. Trotzdem wurde sein Fall zum Auslöser einer Reihe von anderen konstruierten politischen Schauprozessen, die verschiedene Segmente des kirchlichen Lebens erfassten, in hohem Maß die Orden. Gerade die Problematik der Orden bildete einer der Brennpunkte der Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche am Anfang der kommunistischen Herrschaft. Ordensgemeinschaften waren in der Seelsorge, in der Schul- und Ausbildungsarbeit sehr aktiv. In ihren Reihen befanden sich hervorragende Persönlichkeiten, die ausländische Universitäten besuchten. Sie bildeten daher ein dynamisches Segment des kirchlichen Lebens. Deshalb wollte die kommunistische Führung direkte Konfrontation. An Ostern 1950, vom 31. März bis 5. April, fand ein großer Prozess gegen zehn Ordensgeistliche statt. Sie wurden wegen Spionage für den Vatikan, wegen Waffenbesitzes und der Vorbereitung eines Putsches sowie weiterer Verbrechen angeklagt und zu harten Strafen verurteilt. Ein Geistlicher wurde zu lebenslänglicher Haft, die übrigen neun Angeklagten zu insgesamt 132 Jahren Gefängnis verurteilt.[2]
Acht Tage nach dem Prozessende, in der Nacht vom 13. Auf den 14. April 1950, setzte die StB (Staatssicherheit) die erste Etappe der Aktion K gegen die zahlenmässig stärksten Orden, die Salesianer, die Redemptoristen, die Jesuiten, die Franziskaner und die Prämonstratenser, in die Tat um. Die Klöster wurden umstellt und kurz vor Mitternacht drangen bewaffnete Angehörige der StB und der Miliz ein. 14 Tage später erfolgte auf diese Art auch die Auflösung der übrigen, noch existierenden Männerklöster. Alle Mönche mussten in Lastwagen steigen und wurden zu festgelegten Internierungspunkten gebracht. Dort wurden sie sowohl körperlichen als auch geistigen Misshandlungen ausgesetzt. Härtere Bedingungen herrschten vor allem im Internierungskloster Želiv – entkräftende Arbeit, strenge Überwachung, Essensentzug, Aufenthalt in der Korrektion und Ähnliches. In Želiv waren bis 1956 über 300 Ordensbrüder interniert.
Während der Aktion K wurden insgesamt 144 Ordensdomizile liquidiert, 1164 Ordensbrüder in die Internierungsklöster und 76 in die Internierungslager überführt. In der gesamten Tschechoslowakei betraf die Aktion K in beiden Etappen 2376 Ordensbrüder, 2201 wurden in die vorgesehenen Klöster überstellt und 175 in Lagern interniert. Die Auflösung umfasste 219 Ordenshäuser. Die Mehrzahl der 429 beschlagnahmten Klosteranlagen in der Tschechoslowakei erhielten nicht, wie zuvor von der kommunistischen Behörden zugesagt Krankenhäuser oder Familien, sondern die Armee und das Innenministerium. Ein Teil der Kulturdenkmäler, die seit Jahrhunderten in den Klöstern gesammelt worden waren, wurde Galerien und Museen übergeben, andere sind unwiederbringlich verschollen oder barbarisch zerstört worden.[3] Es war sehr brutaler Eingriff in die gesamte Kontinuität des religiösen Lebens in der Tschechoslowakei.
Die dritte Welle der „Aktion K“ richtete sich im Herbst 1950 gegen die Nonnenklöster. Alle 670 Konvente mit knapp 12.000 Ordensschwestern wurden aufgelöst. Wer nicht im sozialen Bereich tätig war, wurde interniert.[4]
Die Ordenstätigkeit geriet sehr oft auch in den Fokus der kommunistischen propagandistischen Mittel. Ein charakteristisches Merkmal für eine solche Reflexion der Ordens-Tätigkeit war eine Diffamierungskampagne, in der die Ordens-Mitglieder als „die Hauptgarde der klerikalen Reaktion“ präsentiert wurden. Die propagandistischen Kampagnen in der Tschechoslowakei gegen die Orden setzen sich nicht nur in 50-er Jahren, sondern praktisch bis zum Fall des Regimes fort. Ein typisches Beispiel stellt die Fernsehpropagandaserie „Die dreißig Fälle des Majors Zeman“ aus den 1970er Jahren dar. In einem der ersten Teile (unter der Titel „Rubinkreuze“) spielte die Geschichte hauptsächlich in einem Kloster, in dem die Mönche einer Gruppe von Anhängern von Stepan Bandera, also der Terroristen, Asyl gewährte. In der Episode „Kreuzwegstationen“ wurden noch mehr falsche Behauptungen verbreitet. Die Handlung spielt vor allem im einen Frauenkloster und die Nonnen sind in dieser Folge der Serie durch die Optik der Klassenfeindlichkeit als die Stütze der Reaktion dargestellt. Sie unterstützen nämlich die staatsfeindlichen kriminellen Elemente. Die Mitglieder der Orden haben so im kommunistischen propagandistischen Bild keine positiven Eigenschaften.
Strenge Maßnahmen gegen Orden dauerten in der Tschechoslowakei im Grunde genommen praktisch die ganze Zeit der Existenz der kommunistischen Herrschaftsstrukturen. Trotzdem versuchten Mitglieder von illegal wirkenden Orden, vor allem in der Zeit der sog. Normalisierung (1969-89) Kontakte zum Ausland zu pflegen. In August 1987 konnte so beispielsweise der Generalabt der Prämonstratenser Marcellus Van De Ven nach Prag kommen.[5]
Die kommunistische Gewaltmaschine, die sehr stark gegen die katholische Kirche und die Orden gerichtet war, sollte nicht aus der öffentlichen Erinnerung verdrängt werden. Diese Erinnerungen sind besonders jetzt wichtig, weil die Zeitverzögerung zwischen diesen Ereignissen und der heutigen Zeit zunimmt.

Jaroslav Šebek

[1] Zu der Geschichte der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei im Verlauf der der Etablierungsphase der kommunistischen Diktatur vgl. Karel Kaplan, Staat und Kirche in der Tschechoslowakei: Die kommunistische Kirchenpolitik in den Jahren 1948-1952, München 1990.   
[2] Vojtěch Vlček, Geschichte der Orden, in: Martin Schulze Wessel-Martin Zückert, Handbuch der Religions- und Kirchengeschichte der böhmischen Länder und Tschechiens im 20. jahrhundert, Munchen 2009, s. 644.
[3] Vojtěch Vlček, Geschichte der Orden, in: Martin Schulze Wessel-Martin Zückert, Handbuch der Religions- und Kirchengeschichte der böhmischen Länder und Tschechiens im 20. jahrhundert, Munchen 2009, s. 644.
[4] https://deutsch.radio.cz/vor-70-jahren-liquidierung-der-kloester-der-cssr-8102914
[5] Archiv der Sicherheitskräfte, A_36_501, Information zu der kirchlichen Tätigkeit, Prga 16. 12. 1987.

Ein Dichter des tschechischen Schicksals

Jedes Volk hat seine eigenen Dichter, die es verehrt, weil es in ihren Werken seine eigene Identität sieht – seinen Volkscharakter, seine Geschichte und sein Schicksal. Manchmal ist aber das Volk als ob gespaltet und einige Dichter werden nur von einem Teil des Volkes so wahrgenommen.
Jan Zahradníček (1905–1960) gehörte schon seit seinem kreativen Anfang in den 30er Jahren des 20. Jhdt. zu den anerkannten tschechischen Dichtern. Nach dem kommunistischen Putsch 1948 sollte er aber völlig aus der Literaturgeschichte und dem Gedächtnis des Volkes ausgelöscht werden. Der Dichter wurde verhaftet und zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Aus dem öffentlichen Raum ist jede, auch nur die geringste, Erwähnung von ihm verschwunden. Heute wird das Werk von Jan Zahradníček in der Tschechischen Republik von niemanden mehr in Frage gestellt, und sein literarisches Erbe gehört zu den allgemein anerkannten Säulen der tschechischen Literatur des 20. Jahrhunderts - aber als ihren Dichter, als Dichter ihres Schicksals, nehmen ihn vor allem die tschechischen Katholiken wahr.
Jan Zahradníček kam aus einer Bauernfamilie (die Familie besaß 26 Hektar Land – man kann sich vorstellen, was man auf solch einer Fläche anbauen kann) aus Mastník in der hügeligen Landschaft der Böhmisch-Mährischen Höhe. In der Familie wurden 19 Kinder geboren, Jan war der zwölfte. Fünf von den Kindern wurden tot geboren, sieben starben im Kindesalter und so kamen nur Jan und seine sechs Geschwister ins Erwachsenenalter.
Jans Leben wurde von einem Unfall in seiner Kindheit gezeichnet, als er im Alter von bloß zwei Jahren vom Heuboden fiel und körperlich behindert geblieben ist – was ihn jedoch nicht daran gehindert hat, sich in der Gemeinschaft der Kinder durchzusetzen (auch später auf dem Gymnasium war er ein anerkannter Führer seiner Klasse). In der Landwirtschaft konnte er jedoch nur leichtere Arbeit verrichten. Obgleich seine Eltern sich ursprünglich entschieden, dass er den Beruf des Schneiders erlernten sollte, ermöglichten sie ihm letztendlich das Studium auf einem Gymnasium in der nahen Stadt Třebíč. Nach seinem Abitur studierte er an der der Philosophischen Fakultät in Prag. Sein Hochschulstudium schloss er nicht ab. Er bestand die Prüfungen als Bibliothekar, wurde jedoch auch kein Bibliothekar, sondern widmete sich der Literatur. Er schrieb, übersetzte, und dass hauptsächlich aus dem Deutschen und dem Französischen (aus der deutschen Literatur freuten sich an seinem Übersetzungsinteresse Thomas Mann, Friedrich Hölderlin, Rainer Maria Rilke, Gertrud von Le Fort und andere) und arbeitete als Lektor mit verschiedenen Verlagen zusammen. Er freundete sich mit Dichtern seiner Generation an.
Die Anfänge seines dichterischen Schaffens sind sehr pessimistisch, wir finden hier eine Faszination für die Vernichtung und den Tod - sein fester christlicher Glaube ging aber nie verloren. Für den ersten Höhepunkt von Zahradníčeks Werken werden jedoch allgemein die Gedichtsammlungen aus den 1930er Jahren gehalten: Vogelbeeren (Jeřáby) 1933, Durstiger Sommer  (Žíznivé léto) 1935 und Gruß an die Sonne (Pozdravení Slunci) 1937, in denen wir Dankbarkeit für die Schönheit des Lebens und verzauberte Verse über die Böhmisch-Mährische Höhe, die Heimatregion des Dichters, finden können.

Nach Flügeln geh ich, Augentagen,
Masken und Vögel streift mein Blick.
Der Schritte Zahl ist abzutragen,
und in den Schritten reift Geschick.
O Schritte, meine Last begleitend,
ihr Vögel am Lehmfirmament ,
o Schritt, getan schon, noch zu schreiten,
o Schritt, der Schlund und Höhe trennt.
(Übertragung von Urs Heftrich)

Während der Besetzung von Böhmen und Mähren durch Nazi-Deutschland suchte auch Jan Zahradníček, wie viele andere Dichter, Unterstützung in der nationalen Geschichte, insbesondere bei den böhmischen Heiligen (Gedichtsammlung Korouhve, Die Banner, 1940).
Das Jahr 1945, das Jahr der neuen Freiheit, ist auch für Jan Zahradníček ein Jahr des Neuanfangs: menschlich, beruflich und künstlerisch. Der Dichter heiratete eine vierzehn Jahre jüngere Frau und zog nach Brünn (er lebte in Černé Pole, falls Sie diese Stadt kennen). Dem Paar wurden in schneller Folge drei Kinder geboren, zwei Töchter und ein Sohn. In Brünn bekam Jan Zahradníček die Stelle des Redakteurs der Brünner Druckerei, die dem Benediktinerorden gehörte; schon seit dem Jahr 1940 redigierte er die christliche literarische Revue Akord.
Nach dem Krieg erwartete Jan Zahradníček die Bekehrung des Volkes und die Hinwendung zu Gott. Als er sah, dass sich das Volk viel stärker der Ideologie des Kommunismus zuwandte, verbarg er seine Enttäuschung nicht. Und einige kommunistische Autoren behaupteten erneut: „Zahradníček gehört hinter Gitter“. Der Stein des Anstoßes war für sie vor allem die poetische Komposition La Saletta (1947), basierend auf der marianischen Erscheinung in einem kleinen Dorf in den französischen Alpen im Jahr 1846 (die Erscheinung, die als eine der wenigen als echt seitens der kirchlichen Autorität anerkannt wurde).
Die kommunistische Machtübernahme fiel dann mit großer Grausamkeit auf Jan Zahradníček. Zuerst wurde er aus dem „Verband der Schriftsteller“ ausgeschlossen, was gleichzeitig ein Verbot des Publizierens und der Teilnahme am öffentlichen Leben bedeutete. Im Juni 1951 wurde er in seiner Wohnung von der kommunistischen Polizei festgenommen. Davor gelang es ihm noch ein weiteres seiner großen Werke fertigzustellen, die poetische Komposition Das Zeichen der Macht (Znamení moci) 1951, eine prophetische Abrechnung mit dem Regime der Gewalt und des Bösen, welche jedoch während seines Lebens in der Tschechoslowakei nicht erscheinen konnte.
Obwohl er nichts gegen die geltenden Gesetze begangen hatte, stand er im Juli 1952 in Brünn als Mitglied einer von Kommunisten künstlich geschaffenen „staatsfeindlichen Gruppe“ vor Gericht. Sein Verbrechen war nichts geringeres als – „Hochverrat“. In den folgenden Jahren lernte der Dichter alle gefürchteten tschechoslowakischen Gefängnisse kennen, einschließlich Mírov und Leopoldov. Seine Familie wurde in das Dorf Uhřínov vertrieben, in ein Haus ohne Strom und ohne Wasser, wo seine Frau in der Landwirtschaft arbeitete.
In den Erinnerungen seiner Mitgefangenen scheint Jan Zahradníček ein Halt und eine Stütze gewesen zu sein. Obwohl er Laie und nicht Priester war, konnte er alle Texte der lateinischen heiligen Messe auswendig (Liturgie in nationalen Sprachen, wie bekannt, gab es noch nicht). Die Gefangenen erinnerten sich daran, wie kraftvoll es auf sie gewirkt hat, was für eine spirituelle Erfahrungen es für sie war, als Jan Zahradníček ihnen die ganze Messe mit leiser Stimme vortrug, einschließlich der Worte Hoc est enim corpus meus (Das ist mein Leib).
Jiří Stránský, später ein sehr erfolgreicher Autor von Romanen und Drehbüchern, außerdem auch aus der Gefängnisumgebung, erinnerte sich daran, dass er sich mit Jan Zahradníček als ein noch junger Gefangener traf. Zahradníček fand einmal die Gelegenheit, um sich mit ihm auf einem Spaziergang unter vier Augen unterhalten zu können und sagte zu ihm: „Du hasst die Kommunisten so sehr. Hör auf, sonst wird dich der Hass vernichten.“
Ein wichtiger Teil von Zahradníčeks literarischem Werk ist seine im Gefängnis entstandene Poesie, vornehmlich die Gedichtsammlungen Vier Jahre (Čtyři léta), welche man der Öffentlichkeit in der kurzen Zeit des Pragers Frühlings präsentieren konnte, und Haus Angst (Dům Strach), die erstmals im Exilverlag in Toronto 1981 veröffentlicht wurde. (Eine deutsche Auswahl aus den Übersetzungen von Zahradníčeks Gefängnispoesie wurde 1984 von Nikolaus Lobkowicz mit dem Titel „Der Häftling Gottes veröffentlicht“.)
Im Jahr 1956 wurde die Familie von Zahradníček in Uhřínov von einer unerwarteten Tragödie heimgesucht: Pilzvergiftung. Die Frau und der Sohn überlebten die Vergiftung, doch beide Töchter starben. Die Gefängnisleitung erlaubte Jan Zahradníček, an der Beerdigung teilzunehmen, mit dem Versprechen vorzeitiger Entlassung. Der antikommunistische Aufstand in Ungarn erschreckte das tschechoslowakische Regime jedoch erneut – Jan Zahradníček erschien ihnen wieder als gefährlicher Feind und musste ins Gefängnis zurückkehren, für weitere vier Jahre. Zuhause wuchs in der Zwischenzeit seine kleine Tochter auf, die während des kurzen Besuchs gezeugt wurde.
Die endgültige Entlassung des Dichters aus dem Gefängnis erfolgte erst nach einer großen Amnestie zum fünfzehnten Jahrestag des Kriegsendes im Mai 1960. Jedoch starb er an Folgen seiner Haft, nachdem er nur fünf Monate bei seiner Familie gelebt hatte.
Was soll ich abschließend sagen? Vielleicht nur, um Zahradníčeks Wunsch zu wiederholen, damit Europa zu seiner ersten Liebe zurückkehre, das Lamm anbetend…

František Schildberger
Übersetzung: Kamila und Dominika Novotnà

Gespräch mit P. Martin Leitgöb

Bis zum Herbst diesen Jahres war P. Martin Leitgöb Pfarrer der deutschsprachigen Pfarrei in Prag. Nun ist er Seelsorger an der Wallfahrtskirche auf dem Schönenberg in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Wir sprachen mit Pater Martin.

Wann bist du Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Prag geworden und wie bist du zu dieser Aufgabe gekommen?
Also eigentlich war ich ja nicht Pfarrer, sondern Pfarradministrator. Diese Aufgabe wurde mir im Jahre im Oktober 2016 anvertraut, zusammen mit der Erhebung unserer deutschsprachigen Gemeinde in Prag zu einer Personalpfarrei im Rahmen des Erzbistums Prag. Darüber haben wir uns alle sehr gefreut. Schon seit September 2012 war ich aber in der Nachfolge von Msgr. Winfried Pilz Seelsorger für die deutschsprachigen Katholiken im Erzbistum Prag und „Rector in spiritualibus“ an der Kirche Sankt Johannes Nepomuk am Felsen. Wie bin ich überhaupt nach Prag gekommen? Das ist eine längere Geschichte, die eigentlich damit beginnt, dass ich etwa zwanzig Kilometer von der österreichisch-tschechischen Grenze entfernt geboren wurde und aufgewachsen bin. 2010 wurde ich von meinem Orden für ein Projekt in Prag freigestellt, das sich allerdings nicht realisieren ließ. Ich hatte allerdings schon bereit begonnen, Tschechisch zu lernen, und habe in Prag gelebt. So wurde ich gefragt, ob ich mir nicht die Aufgabe in der deutschsprachigen Gemeinde vorstellen könnte. Da habe ich gerne Ja gesagt, und dieses Ja habe ich keinen einzigen Tag bereut.

Welche Menschen gehörten zu deiner Gemeinde?
Die deutschsprachige Gemeinde ist eine wirklich bunte Truppe. Sie wird zum einen geprägt von Menschen und Familien, die aus beruflichen Gründen für einige Jahre in Prag leben und dann wieder in die Heimat zurückkehren oder anderswo hinziehen. Eine zweite wichtige Gruppe sind die binationalen Familien – ein Elternteil deutschsprachig, ein Elternteil tschechischsprachig. Dann gehören tschechische Staatsbürger dazu, welche entweder der deutschen Minderheit angehören oder sich einfach für die deutsche Kultur und Mentalität interessieren. Und schließlich hatten wir immer weit geöffnete Türen für Menschen, die sich kürzere Zeit in Prag aufhalten: junge Menschen im Auslandssemester oder im Freiwilligen Sozialen Jahr, aber natürlich auch die vielen deutschsprachigen Touristen.

Was waren neben der Feier der deutschen Gottesdienste Schwerpunkte deiner Tätigkeit?
Ein erster Schwerpunkt lag in meiner Unterrichtstätigkeit an der Deutschen Schule Prag. Das habe ich sehr gerne gemacht, weil ich von meinen Schülerinnen und Schülern selbst viel lernen konnte. Außerdem war der Unterricht ein wichtiger Bereich unserer Ökumene mit der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde Prag – ich als katholischer Pfarrer habe zusammen mit dem evangelischen Pfarrer bzw. später der evangelischen Pfarrerin gemeinsam unterrichtet, in jeder einzelnen Religionsstunde, in jeder Klasse. Damit bin ich schon bei einem zweiten Schwerpunkt: die Ökumene. Wir haben fast alle außergottesdienstlichen Veranstaltungen gemeinsam organisiert, sodass wir zwar nicht institutionell, aber wahrnehmungsmäßig fast eine Gemeinde waren mit einer katholischen und einer evangelischen Abteilung. Eine wunderbare Erfahrung! Und noch ein dritter Schwerpunkt: die Mitarbeit an der österreichisch-tschechischen bzw. deutsch-tschechischen Nachbarschaft. Einige Jahre war ich in diesem Rahmen Geistlicher Beirat der tschechischen Ackermann-Gemeinde, aber ich verstand mich auch sonst als kirchlicher Ansprechpartner und Akteur in den nachbarschaftlichen Beziehungen unserer Länder.

Wie hat sich die Gemeinde in den letzten Jahren entwickelt?
Ich bin zufrieden. Wir sind größer geworden. Es gelang, viele Familien anzusprechen, was dazu führte, dass wir in unseren Sonntagsgottesdiensten einen ungewöhnlich niedrigen Altersdurchschnitt hatten. Es haben sich viele Menschen engagiert und auf diese Weise zueinander gefunden. Mit Freude habe ich zum Beispiel beobachtet, dass sich Leute, welche sich ausschließlich über die Gemeinde kannten, begannen, sich auch privat zu treffen. Kann’s für einen Seelsorger was Schöneres geben? Ein tragfähiges und lebendiges Netzwerk zwischen unterschiedlichen Menschen – das hat etwas mit dem Reich Gottes zu tun!

Wie war dein Kontakt zu tschechischen Priestern und zu Pfarreien in Prag?
Das gelang am besten dort, wo dieser Kontakt ganz an der Basis war. Ich habe ja nacheinander in den Pfarrhäusern zweier Prager Pfarrhäusern gelebt, zuerst in Prag 6 und dann in der Ludmilla-Pfarrei in Prag 2. Sehr gerne habe ich auch tschechische Gottesdienstvertretungen übernommen, am häufigsten und am liebsten in der Herz-Jesu-Kirche am Georg-von-Podiebrad-Platz. Da ergaben sich immer wieder Gespräche, und ich lernte, mich besser in die tschechische Mentalität einzufühlen. Je länger, desto mehr kam ich zur Überzeugung, dass die Kirche in den deutschsprachigen Ländern vielen von der tschechischen Kirche lernen kann. Aber darüber zu sprechen, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.

Wie war dein Abschied in Prag und dein Ankommen in Ellwangen?
Was sind dort deine Aufgaben?
Mein letzten Prager Monate waren natürlich von der Corona-Pandemie geprägt. Auch da zeigte sich, dass unsere Gemeinde stabil ist, denn trotz des Ausfalls der Gottesdienste rund um Ostern und der späteren Teilnahmebeschränkungen hat sich niemand verlaufen. Mein Abschiedsgottesdienst war dann am letzten Augustsonntag und fiel in ein Zeitfenster, in dem man eigentlich ziemlich normal feiern konnte. Das war ein schöner Gottesdienst, aber natürlich war es schon auch traurig. Das Grundgefühl war Dankbarkeit. Mein Ankommen in Ellwangen war gut, ich wurde herzlich aufgenommen. Ich lebe hier in unserer Redemptoristen-Kommunität am Schönenberg und bin als Pfarrer für die Pfarrei und den Wallfahrtsort zuständig. Eine schöne Aufgabe. Wenn ich Sehnsucht nach Tschechien bekomme, das mir wie eine zweite Heimat geworden ist, mache ich mir eine Flasche Pilsner-Bier auf. Gottseidank gibt es das auch in Deutschland zu kaufen!

Pater Martin wir danken für diesen Gespräch!

Unsere Missionare

Pfarrer Karl Binder

Am 30. Mai 1940 wurde ich in Untertannowitz ( Dolní Dunajovice ), Kreis Nikolsburg ( Mikulov ), Suedmähren, geboren. 1946 wurde ich mit meiner Familie aus der Heimat vertrieben. Wir kamen nach Adersbach, Kreis Sinsheim. Im Jahr 1955 siedelten wir nach Pforzheim um. Dort engagierte ich mich in der Jugendarbeit, wo ich auf Don Bosco und die Salesianer stieß. Ich entschloss mich für die Salesianer und die Mission. Über den deutschen Salesianerprovinzial Johannes Greiner kam ich nach Campo Grande, Mato Grosso und studierte dort Philosophie und Pädagogik. Nach diesem Studium schloss ich mich dem Salesianerbischof Dom Camilo Faresin an und wurde als erster Diözesankleriker in der Praelatur Registro do Araguaia, so gross wie früher Westdeutschland, inkardiniert. Das Theologiestudium absolvierte ich in Mariana, Minas Gerais und Freiburg. Die Prälatur wurde 1981 zur Diözese von Guiratinga erhoben und 2014 aufgelöst. Zur Prälatur gehörte das Gebiet der Xavantes- und Bororoindianer, mit den Indianerdörfern Sangradouro, São Marcos und Meruri. Im letzteren wurde der deutsche Salesianerpater Rudolf Lunkenbein, 1976 von den Großgrundbesitzern erschossen. Wir studierten zusammen Philosophie. Im Januar 2018 begann sein Seligsprechungsprozess.
Am 29.9.1968 wurde ich in St. Antonius, Pforzheim von meinem brasilianischen Bischof zum Priester geweiht. Meine erste Tätigkeit als Priester war in Alto Garças, Mato Grosso, wo ich als Spiritual einer kleinen Schwesternkommunität, als Leiter des Kleinen Priesterseminars, als Lehrer auf dem Gymnasium und als Kaplan für die Außenstationen der Pfarrei wirkte. Im Jahre 1972 schickte mich der Bischof in das Diamantensucherstädtchen Torixoréu am Araguaiafluss um dort die Pfarrei St. Johannes Bosco aufzubauen. Die Verhältnisse dort waren sehr schwierig. Ich sagte zum Bischof, dass ich es in der Gemeinde höchstens ein Jahr aushalten wuerde. Noch heute lebe und wirke ich in dieser Pfarrei. 1973 übernahm ich noch zusätzlich die Pfarrei St. Sebastian in Baliza, auf der anderen Seite des Flusses in der Diözese São Luis de Montes Belos im Bundesstaat Goiás. So arbeitete ich gleichzeitig in zwei Bistümern und zwei Bundesländern.
Am Anfang war es schwierig in beiden Pfarreien, besonders in der neugegründeten Pfarrei. Es war wie im Wilden Westen. Die Menschen kamen vom Norden besonders vom Bundesstaat Bahia, wo sie von der Duerre vertrieben wurden und von den Diamanten im Araguaiafluss angezogen wurden. Torixoréu und Baliza waren Eldorados. Die Pfarrei St. Johannes Bosco, Torixoréu, war über 5.000 qkm gross, die Pfarrei St. Sebastian 1.750 qkm. Keine Teerstrassen. Bis zu 100 km musste ich zu Ausenstationen fahren. Das letzte Stück Weg zu einer Farm erreichte ich oft nur mit dem Pferd. 18.000 Menschen lebten auf dem Gebiet der Pfarrei St. Johannes Bosco, 2000 in der Pfarrei St. Sebastian. Inzwischen wurde die Pfarrei in Torixoréu in zwei Pfarreien und zwei politische Gemeinden aufgeteilt. Viele Leute von den Fazendas sind in die umliegenden Städte abgewandert. Besonders die Jugendlichen haben uns verlassen, um in der Grosstadt Arbeit und Studium zu suchen. Pfarrkirche, Pfarrhaus, Schwesternhaus , Gemeindesaal, Räume für die Katechese mussten gebaut werden. Im Hinterland fehlten die nötigen Kapellen. Auch auf sozialem Gebiet gab es viel zu tun. Krankenhaus, Kindergarten, Ausbildungsstätte für Holzverarbeitung wurden errichtet. Misereor, Adveniat, Dreikoenigssingen der Kinder und Kirche in Not halfen mir bei den Bautätigkeiten und der Anschaffung von Fahrzeugen. Nebenbei musste ich Unterricht geben, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In 52 Jahren Seelsorge in zwei Pfarreien erhielt ich nur vier Jahre ein Gehalt, als Diözesanadministrator und Generalvikar. Heute lebe ich von einer brasilianischen Rente und der Hilfe meiner Heimatdiözese Freiburg.
Im Dezember 2007 verunglückte unser Bischof tödlich. Die Priester wählten mich zum Diözesanadministrator. So zog ich in die Bischofsstadt Guiratinga. Nach 15 Monaten erhielten wir einen neuen Bischof. Dieser ernannte mich zum Generalvikar und zum Pfarrer der Kathedrale. 2012 bat ich den Bischof, mich in den Ruhestand zu versetzen Ich ging in meine ehemalige Pfarrei, die ich gründete und 36 Jahre lang betreute, zurück.
Doch aus dem Ruhestand ist nichts geworden. Torixoréu hat keinen Pfarrer mehr. So mache ich die Seelsorge in der Pfarrei weiter. Meine ehemalige Zweitpfarrei hat zwar einen Pfarrer, der aber wohnt in Bom Jardim, 45 km entfernt und kommt nur zweimal wöchentlich, manchmal auch nur am Samstag. So habe ich auch dort immer wieder zu tun. In der Nachbardiözese zelebriere ich monatlich die heilige Messe für Kleingrundbesitzer. Sie waren früher Landlose. Jeden Monat feiere ich die heilige Messe auf einem anderen Bauernhof. Anschließend gibt es immer eine kleine Agape, mit Kaffee, Säften und Kuchen. Man spürt dort den Hunger nach dem Wort Gottes. Trotz physischen Anforderungen fahre ich gerne dorthin.
Beide Pfarreien stehen heute auf eigenen Füßen, sind finanziell unabhängig und haben akive Laien. Wir haben die Jugendpastoral, Pastoral für ältere Menschen, Pastoral des Zehntens, Gebetsapostolat, Besucherdienst, Legion Mariens. Am Montag treffen sich die Männer zum Rosenkranzgebet. Früher hatten wir noch Cursilio und Familienpastoral. Die sind leider eingeschlafen. In manchen Aktivitäten waren halt immer die gleichen Leute. In der katholischen Kirche bitten wir beim Zehnten um einen Beitrag, der von Herzen kommt und nach finanziellen Möglichkeiten. Die Evangelikalen verlangen unerbittlich 10 %.
Zur Zeit renoviere ich zusammen mit einem Team aus Laien den Pfarrsaal und wir vergrößern ihn. Trotz Pandemie sind die Menschen mit Begeisterung dabei. Wir halten virtuelle Versteigerungen über WhatsApp ab. Selbst die armen Leute haben heute ein Smartphone. Bei den Versteigerungen können arme und reiche Menschen mitmachen. Von einem Dutzend Eier, einem Kuchen, einem Huhn bis zu einem Kalb, Pferd, Schwein ist alles zu haben. Zwischendrin rufen wir immer wieder auf und sammeln für Lebens- und Arzneimittel für die Ärmsten. Über WhatsApp erreichen wir viele ehemalige Bewohner, die heute in größeren Städten wohnen. Diese sind eine ganz große Hilfe.
In diesen Tagen sind die klimatischen Bedingungen sehr schlecht. Ueber 120 Tage regnete es nicht mehr. Die Temperatur kletterte auf 40 Grad und die Luftfeuchtigkeit sank auf 18 %. An vielen Stellen brennt es lichterloh. Der Himmel ist mit Rauchwolken bedeckt. In Cuiabá, der Landeshauptstadt, in der Nähe des Pantanals, ist es noch schlimmer, 42 Grad Hitze und 8 % Luftfeuchtigkeit, fast wie in der Wüste.
Seit März habe ich einen ständigen Diakon zur Seite, eine grosse Hilfe. Auch drei Ordensschwestern helfen in der Pastoral und auf sozialem Gebiet. Jetzt bitte ich Gott um einen Pfarrer für die Gemeinde, damit ich endlich abtreten und nur im kleinen Stil Seelsorge machen kann.

Viele liebe Grueße aus Mato Grosso
Ihr Karl Binder

„Singt dem Herrn ein neues Lied“

Kritische Anmerkungen zu einem wichtigen Aspekt des liturgischen „Lockdowns“

Mit dem neuerlichen „Lockdown light“ in Deutschland liegen kirchlicherseits Freud und Leid nahe beieinander. Unter die aktuellen Bestimmungen (bei Abfassung dieser Zeilen) fällt die ausdrückliche Erlaubnis, weiterhin Gottesdienst in Präsenz zu feiern. Wer sich noch einmal die österlichen Wochen ins Gedächtnis holt, weiß um den fundamentalen Unterschied – und ist so dankbar, wie man es unter diesen Umständen nur sein kann. Allerdings sind wir auch in der Liturgie weit von einer Normalität entfernt. Sind uns sonst die Gotteshäuser zu groß, können sie – zumindest in manchen Gemeinden – diejenigen gerade nicht fassen, die tatsächlich kommen möchten. Nicht nur allerhand „Anmelde- und Auswahlsysteme“ sind ein Hemmschuh, auch mit der Form der Feier fremdelt so mancher: Markierte Plätze, Desinfektion, Abstand, Mund-Nasen-Schutz etc. Ich schreibe von Bayern aus und weiß, dass andernorts weniger möglich ist, manchmal auch noch oder schon wieder mehr. Aber selbst bei uns schwankt die Interpretation oft von Gemeinde zu Gemeinde, bzw. von Pfarrer zu Pfarrer. Die einen Mitbrüder halten so sehr „Abstand“, dass sie jeden liturgischen Dienst gleich selbst machen, die anderen tun vielfach so, als ob nichts wäre.
Vermutlich wird es dem durchschnittlichen Kirchgänger gar nicht so sehr darauf ankommen, ob eine Lektorin den Dienst übernimmt oder der Pfarrer die Lesung – wie den Rest – gleich selber macht, obwohl die Vorschriften hier eindeutig wären. Aber es ist ja Corona.
Viele aber (sicher nicht alle!) werden etwas Wesentliches vermissen, nämlich die Möglichkeit zum eigenen, kräftigen Gesang. In unserer Diözese hieß das bis Ende Oktober „reduzierter Gesang“. Das war und ist eine schön dehnbare Vorschrift. Reduktion ist ja in der Regel relativ, nicht absolut, bezieht sich also auf das bisher „übliche Maß“ – und das allein kann ja schon sehr unterschiedlich sein. Inzwischen heißt es bei uns „2-3 Lieder“. Scherzhaft könnte man sagen: von Strophen ist ja nicht die Rede. Feiert also die „Deklination“ von Liedern fröhliche Urstände? Singen wir Strophe eins zum Eingang, Strophe zwei nach der Lesung, Strophe drei zur Gabenbereitung? Dann – immerhin- ein Heilig, um zum Dank die Strophe vier ertönen zu lassen? Waren wir dann brav bei zwei (am Werktag) oder drei (mit einem Gloria) am Sonntag? Oder sparen wir uns auch noch die eine Auswahl, weil wir „Großer Gott“ Strophe drei zum Heilig machen?
Dieses Extrem wird mancherorts durch eine, aus anderen Gründen, ebenso defizitäre Alternative – auch nach derzeitigen Vorgaben – ersetzt: die „hörende“ Gemeinde, und zwar entweder in die Stille oder den musikalischen Vortrag (einer Orgel, eines Kantors, einer Schola – Chor geht grad nicht). Was aber geht uns – immer dankbar, dass wir überhaupt öffentlich feiern dürfen! – auf diesem Weg verloren? Sacrosanctum Concilium, die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils widmet immerhin neun seiner 130 Artikel (Nr 112 bis 121) der Kirchenmusik! Ausdrücklich wird sie in Art. 114 in den Zusammenhang mit der „tätigen Teilnahme der Gläubigen“ gesetzt. Wenn nun –bei tatsächlicher Vorschrift oder bei strenger Auslegung der Vorschriften – den Gemeinden das Singen verboten wird, fehlt ein wesentliches Element der Liturgie!
In den letzten Jahren mussten wir beobachten, dass viele derjenigen, die noch in den Gottesdienst kommen, zunehmend verstummen. Die Einführung des neuen „Gotteslobs“ hat ein Übriges getan: Singbegeisterte haben sich rasch neue Lieder zu Eigen gemacht, Gesangsverweigerer sind endgültig ausgestiegen. All das sollten wir bedenken, wenn es darum geht, jetzt unter Corona-Bedingungen öffentlich Gottesdienst zu feiern. Das Wenige, das wir vielleicht noch singen dürfen, sollte also mehrere Aspekte berücksichtigen. Es muss – wenigstens – ein „Schlager“ mit dabei sein, damit die Anwesenden sicher und mit ganzem Herzen einstimmen können. Von diesen „Schlagern“ gibt es wirklich viele und gehaltvolle, da braucht man kein übertriebener Purist sein. Es sollte dann aber auch gehaltvolles Neues dabei sein, dass die Gemeinde vielleicht nicht so im Ohr hat. Die Mitfeiernden sollen spüren: dieses Lied, dieser Text, an dieser Stelle sind sie wichtig, ich sollte mich bemühen mitzusingen! Von der Möglichkeit, Vorsänger, Solisten oder Instrumentalisten einzusetzen, sollte sorgsam Gebrauch gemacht werden. Musik in der Liturgie ist kostbar. Und so sehr an den Eigenwert der Stille oder des gesprochenen Wortes zu erinnern ist: Musik und Gesang machen eine Liturgie nicht nur „feierlich“, sie sind wesentlicher Bestandteil derselben! Daher sollte hier Abwechslung erfolgen. Nicht immer dasselbe Ordinarium oder Proprium singen - etwa nur Gloria und Heilig – sondern diese Teile abwechselnd auch Solisten überlassen und dann bewusst einen anderen Gesang gemeinsam anstimmen – und sei es mit Mund-Nasen-Schutz! Nichtzuletzt kann man gerade in der deutschen Liedtradition auch davon Gebrauch machen, sich bei den Strophen abzuwechseln. So habe ich auch schon vor Corona „Macht hoch die Tür“ im Wechsel gesungen: Strophe eins gemeinsam, Strophe zwei die Frauen, Strophe drei die Männer, Strophe vier solistisch und Strophe fünf noch einmal gemeinsam. Da entfaltet sich ein Lied in seiner ganzen Schönheit, der Gesang ist „reduziert“ und es werden spürbar „Andacht, Lust und Freud“.

Regionaldekan Holger Kruschina

Buchempfehlung

Mai 1945 in der Tschechoslowakei
von Kateřina Kovačková

Wichtiger als bei jedem anderen Buch ist es hier, das Vorwort aufmerksam zu lesen, um zu verstehen, was das Buch will und was es nicht will und so Enttäuschungen vorzubeugen. So heißt es darin: „Es wird und darf kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. (…) Ziel der hier versammelten Texte ist es, nicht aufzurechnen, auch nicht alte Wunden aufzureißen. Das Ziel ist es vielmehr, das, was war, anzusehen, abzuschließen und versöhnt hinter sich zu lassen.“ So enthält das Buch zehn Schilderungen der Ereignisse von damals aus der Perspektive von Menschen, die sich 75 Jahre später an das erinnern, was sie als Kinder oder Jugendliche erlebt haben. Dazu weißt das Vorwort auf etwas wichtiges hin: „In jeder Familie wird ein Narrativ gepflegt, eine Art, wie man über Vergangenes spricht. Das ist ein spannendes Phänomen, das in den hier vorgestellten Geschichten mal mehr, mal weniger zum Vorschein kommt. Die eigene (kindliche) Erinnerung ist von diesem Familiennarrativ mehr beeinflusst, als einem bewusst und lieb sein könnte.“
So sind die Texte sehr persönliche Erzählungen der Betroffenen ihrer Erlebnisse von damals, manchmal auch ergänzt durch das, was ihnen ihre Eltern oder Großeltern später erzählt haben. Deshalb wollen und können sie eben auch keinen Anspruch auf Objektivität und Vollständigkeit erheben. Eine Erinnerung, von der oft die Rede ist, ist die, dass das Kind zwar wahrnimmt und spürt, dass die Erwachsenen immer ängstlicher und besorgter werden, es aber nicht weiß warum. Es traut sich aber nicht zu fragen, was los und die Eltern haben auch nicht von sich aus darüber mit den Kinder gesprochen. Für das Kind war die Nähe der Mutter oder Großmutter das Wichtigste, sie gab ihm Geborgenheit und Sicherheit. Umso leidvoller war es für das Kind, wenn es gewaltsam von der Mutter getrennt wurde.
Das Verdienst der Herausgeberin ist es, die Erinnerungen in eine literarisch ansprechende Form zu bringen, ohne auf den persönlichen Charakter der Texte zu verzichten. Wohltuend ist auch das Fehlen eines weinerlich anklagenden Tones, wie er bei Erinnerungen von Heimatvertriebenen manchmal zu finden ist.
Auch durch seine Zweisprachigkeit leistet das Buch auf seine Weise einen wertvollen Beitrag zum Dialog zwischen Deutschen und Tschechen und zur Aufarbeitung der Geschichte, nicht aufgrund historischer Fakten und Dokumente, sondern durch die Betrachtung der Ereignisse aus der Perspektive von Menschen, die sich heute an das erinnern, was sie damals als Kinder und Jugendliche erlebt haben.

Sie können das Buch in jeder Buchhandlung bestellen oder direkt auf der Homepage des LIT-Verlags (www.lit-verlag.de/der-verlag/muenster/), E-Mail:vertrieb@lit-verlag.de.
Kovačková, Kateřina, "Mai 1945 in der Tschechoslowakei. Erinnerungen jenseits und diesseits der Grenze / Květen 1945 v Československu. Vzpomínky na jedné i druhé straně hranice" LIT-Verlag Münster

Mathias Kotonski