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Inhalt 2024-4
Vorwort des Vorsitzenden
Weihnachtsgruß des Vertriebenenbischofs
Weihnachtsgruß des Präses der Sudetendeutschen
Die Marienfrömmigkeit der Luxemburger und Kaiser Karls IV.
Das Bild der Jungfrau Maria in der St.-Thomas-Kirche in Brünn
Der letzte Gottesdienst daheim
Kirchliche Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge vom Zweiten Vatikanum bis 1989
Rückkehr zu den Wurzeln
Holger Kruschina – Ehrendomherr von Leitmeritz/Litoměřice
79. Vertriebenenwallfahrt nach Gößweinstein
Urlaubswoche für tschechische Priester
Vorwort des Vorsitzenden
Liebe Mitglieder und Freund des Sudetendeutschen Priesterwerks,
Geschichte wiederholt sich nicht, Muster schon. Gerade mit Blick auf den Mut der Anständigen habe ich mich immer wieder mal gefragt: Was hättest Du getan? Wäre ich mit Mose in die Wüste aufgebrochen und hätte die „Fleischtöpfe Ägyptens“ verlassen? Hätte ich am „Gott der Väter“ festgehalten in einem Land, wo Milch und Honig fließen oder in der multikulturellen Umgebung eines Exils? Hätte ich mich zu den Frauen und Johannes unters Kreuz getraut oder dem Herrn auf der Flucht vor Verfolgung ein „Quo vadis, domine?“ zugerufen? Hätte ich die Folterschreie von „Ketzern und Hexen“ geflissentlich überhört und meinen jüdischen Nachbarn Zuflucht gewährt? Hätte ich gegen Krieg und Nationalismus gepredigt und hätte selbst Folter und Haft von Gestapo oder Stasi durchgestanden? Geschichte wiederholt sich nicht. Muster schon!
Wie verhalte ich mich heute zu den Konflikten, in denen es eben NICHT nur Schwarz und Weiß gibt – oder umgekehrt: wo laviere ich mich durch, um das eindeutig Böse nicht benennen zu müssen? In vielen Gesprächen und Begegnungen der letzten Wochen ist mir die Komplexität der großen und meiner kleinen Welt wieder deutlich geworden. Da muss ich zuschauen, wie eine Mehrheit in den USA in bester Wild-West-Manier einen Mann zum Scherif macht, der sich als erstes gleich mal selber verhaften sollte. Wie in unserem Land die Regierung vielleicht auch deswegen so lange aushält, weil dem Souverän zuzutrauen ist, dass er bei der nächsten Wahl die Ränder so stark macht, dass von der Mitte nicht mehr viel übrig bleibt. Wie im engsten Umfeld respektable, kluge und mir liebe Menschen inzwischen so von der Anti-Kirchen-Propaganda eingenommen sind, dass ich erschrecke, wie selektiv heute Information funktioniert.
Und dann gibt es – wie Sterne am Nachthimmel – immer wieder kleine Lichter der Hoffnung und Ermutigung und ich denke mir: Ja, Ihr leuchtet schon seit Jahrmillionen auf diesen Planeten herab, weil ein anderes Licht Euch anstrahlt – denn auch das ist ja nicht Geschichte, sondern Muster. Dass da immer Menschen und Ereignisse das Feuer der Hoffnung schüren.
Vor bald 80 Jahren ist das Elend der Vertreibung über – in meinem Fall – Eltern und Großeltern gekommen. Was hätten sie 1945/46 gesagt, wenn sie mich im Heute gesehen hätten?
Ja, es ist gut, dass sich Geschichte nicht wiederholt – und dass Muster auch durchbrochen werden können. Darum ist es gut, dass sich DIESES Muster wiederholt:
„Ehre sei Gott in der Höhe – und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade!“
Ihr
Pfr. Holger Kruschina
Weihnachtsgruß des Vertriebenenbischofs
Das Wort ist Fleisch geworden
1,80 x 1,70 m groß ist ein Rundbild im Erfurter Dom, welches eine sehr seltsame Darstellung zeigt: Die Hostienmühle. In der Mitte ist eine Mühle zu sehen, in das die vier Symbole der Evangelisten Schriftbänder mit den Einsetzungsworten der heiligen Messe werfen. Das Schriftband, das dann aus dem Trichter der Mühle kommt, verwandelt sich im Kelch in das Christkind. Zu lesen ist dort: „Et verbum caro factum est“ – „Und das Wort ist Fleisch geworden!“ Die vier abendländischen Kirchenväter halten den Kelch mit dem Christkind. Die Datierung des Gemäldes auf das Jahr 1534 weist auf die Zeit nach der Reformation hin, wo es wichtig wurde, die Verbindung zwischen dem biblischen Wort und dem Sakrament der Eucharistie zu betonen, denn diese Verbindung drohte auseinander zu fallen.
Am Weihnachtsfest feiern wir die Fleischwerdung des göttlichen Wortes, das seit den Propheten als Hoffnungsbotschaft dem auserwählten Volk Israel zugesagt wurde: Es wird ein Retter geboren, mit dem alle wörtlichen Verheißungen in Erfüllung gehen. Lange Zeit hat es gebraucht, bis diese Verheißung in Erfüllung gegangen ist, die wir am Weihnachtsfest feiern dürfen. Im Laufe dieser Zeit haben sich auch Erwartungen gebildet, die jedoch von Gott nicht erfüllt werden sollten, z.B. dass es wieder eine poltisch-geistliche Herrschaft wie zur Zeit des Königs David geben wird. Jesus musste sich dagegen wehren und darauf hinweisen, dass er das Himmelreich zu den Menschen bringen will. Bis in den Kreis der Apostel hinein bestanden auch andere Hoffnungen, die sich spätestens durch die Passion Jesu zerschlagen haben.
Wir glauben daran, dass durch das Wort, das Jesus im Abendmahlssaal gesagt hat, seine Gegenwart möglich wird. Wir verlassen uns darauf, dass die kirchliche Tradition uns diese Worte verlässlich überliefert hat und damit Christus in den Gaben von Brot und Wein gegenwärtig wird. Die Apostel haben diese Worte sorgsam überliefert, so dass wir uns auf ihre Authentizität verlassen können. Über die Jahrhunderte hin hat die Kirche darauf geachtet, dass diese Worte sorgsam überliefert werden und durch die Betrachtung ihr tiefes Geheimnis erschlossen werden kann.
Der Zugang zu diesem Glaubensgeheimnis, dass Gott Mensch wird, ist bis heute mit reinem Intellekt nicht möglich. Es braucht dazu die Erkenntnis der Liebe Gottes, die niemals aufgehört hat, nach dem Heil der Menschen zu suchen. Wem dieses Ringen Gottes aufgegangen ist, dem sind dann Details der Weihnachtsgeschichte nicht sonderbar wichtig, die von den Exegeten als kritisch bezeichnet werden. Wir wissen, wie sehr die Weihnachtsevangelien im Kontext der alttestamentlichen Formulierungen stehen. Wir freuen uns, wenn auch astronomische und historische Untersuchungen uns helfen, den Zeitpunkt der Geburt Jesu näher zu bestimmen. Dennoch bleibt dem Christen die Zumutung, daran zu glauben, dass Gott Ernst gemacht hat mit seinem Willen, uns Menschen von den Fesseln der Sünde und des Todes zu erlösen.
Auch am Weihnachtsfest feiern wir die heilige Eucharistie, in der Jesus Christus gegenwärtig wird, um uns zu begegnen und zu stärken. Manchem Menschen reicht in der Weihnachtszeit der Besuch einer Kirche, in der eine schön geschnitzte Krippe zu sehen ist, die ebenso die Menschwerdung Gottes zeigt. Das Gemälde der Hostienmühle fordert jedoch dazu heraus, diese Vergegenwärtigung der Liebe Gottes nicht als rein historisches Ereignis zu betrachten, aus dem viele Traditionen entstanden sind, sondern sich daran von Herzen zu freuen, dass die Gegenwart des Erlösers in der Feier der Eucharistie an jedem Tag und in jeder Stunde in der Welt zu einer neuen Wirklichkeit wir
Ein gesegnetes Weihnachtsfest und die Freude am neuen Leben durch das Kind von Betlehem wünscht von Herzen!
Weihbischof Dr. Reinhard Hauke
Weihnachtsgruß des Präses der Sudetendeutschen
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
statt „Friede auf Erden“ werden auch dieses Jahr die Nachrichten dominiert von Kriegsberichten aus den Krisenregionen dieser Welt, erschüttern und Nachrichten aus der weltweiten Politik, aus dem weltweiten Wirtschafts- und Gesellschaftsleben.
Hass und Hetze verbreiten sich in den sozialen Netzen - der Ton wird rauer - im Straßenverkehr und untereinander!
Fremdenhass und Antisemitismus nehmen in unserer Gesellschaft zu!
Und unsere Kirchen? Sie leider unter einem rasanten Mitgliederschwund (nur mehr eine Minderheit unserer Bevölkerung gehören den christlichen Kirchen als Mitglied an) und sind gebeutelt von Uneinigkeit, Skandalen etc.
Weihnachten - ohne Glauben an den menschgewordenen Sohn Gottes - wären diese Tage leer, ohne Inhalt, einfach freie Tage, Freizeit.
Freizeit ist gut und schön, aber kein Fest, schon gar nicht Weihnachten. Was Weihnachten zum Fest macht, ist das Kommen des Gottessohnes Jesus Christus und unsere Begegnung mit ihm. Darum geht es an Weihnachten!
Ich wünsche Ihnen zu Weihnachten die Begegnung mit dem Sohn Gottes, der für uns Mensch geworden ist; eine Begegnung, die Ihnen Geborgenheit im Letzten und Gelassenheit im Vorletzten gibt; eine Begegnung, die Weihnachten zum Fest macht.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes und besinnliches Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr!
Ihr und Euer
Dieter Olbrich
Die Marienfrömmigkeit der Luxemburger und Kaiser Karls IV.
Seit dem Mittelalter sind nördlich der Alpen nur vier Ikonen erhalten geblieben. Im berühmten polnischen Wallfahrtsort Tschenstochau, eine heute etwas vergessene schwarze Ikone der Augustiner von St. Thomas in Brünn, das bekannte Bild der Jungfrau Maria in Freising und das Mosaik, das das Klarissenkloster in Krakau nicht verlässt. Byzantinische Ikonen, ebenso wie andere Kunstwerke im Mittelalter aus dem christlichen Osten erworben, und vornehmlich Reliquien, von denen man glaubte, dass sie aus dem Heiligen Land stammen, wurden in Westeuropa wegen ihres künstlerischen Wertes hochgeschätzt, der in der Qualität ihrer handwerklichen Verarbeitung und dem Wert der Edelmetalle und Edelsteine lag, aber vor allem wegen ihrer geistlichen Bedeutung und Geschichte.
Die Legende des heiligen Lukas
Die fromme Verehrung und Geschichte der kultischen Bilder und Reliquien durchdringen sich so sehr, dass ihre Geschichten weitgehend als Legenden ausgelegt werden. Im Fall der Ikonen der Mutter Gottes ersetzt die Legende des heiligen Lukas die Informationen über das Entstehungsdatum, die Herkunft und die Umstände ihrer Beschaffung. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis ist die Frage, inwieweit das Bild eine echte Darstellung der göttlichen Offenbarung sein kann, eine eindeutige Mitteilung, welche als „Transkription“ des biblischen Textes und der Lehre der Kirche betrachtet werden kann. Der Evangelist Lukas wurde angesichts seiner Autorenschaft der Apostelgeschichte und insbesondere am Prolog des Evangeliums, in dem er schreibt, dass sein Bericht über die Ereignisse, „dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren“ (Lk 1,2), nicht nur als symbolischer Bestätiger der Glaubwürdigkeit betrachtet, sondern auch als „ursprünglicher“ Autor der ältesten Ikonen. Auch die Bedeutung des Textes des Neuen Testaments und das verwendete griechische Wort „grafein“, das nicht nur „schreiben“, sondern auch „zeichnen“ bedeutet, spielten eine Rolle. Im Russischen und in manchen weiteren slawischen Sprachen werden Bilder gemalt, aber Ikonen „geschrieben“, ebenso wie die vom Heiligen Geist inspirierte Heilige Schrift.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde in der Bibliothek der Wiener Dominikaner eine Abschrift der Legende über die Brünner Ikone vom Ende des 15. Jahrhunderts unter dem Titel „Historia de ymagine virginis Marie“ entdeckt. In der dominikanischen Bibliothek befindet sie sich bis heute. Die „Historia“ ist interessant aus zwei Gründen. Zusammen mit der Legende über das Bild der Muttergottes von Tschenstochau und die Geschichte der Freisinger Ikone, handelt es sich um die einzigen spätmittelalterlichen literarischen Werke über verehrte Marienbilder außerhalb Italiens. Die Brünner Legende beschreibt neben dem Ursprung des Bildes nach Lukas auch die Überbringung des Bildes nach Brünn und die Anfänge seiner frommen Verehrung im Zusammenhang mit der Herrschaft der Luxemburger Dynastie.
Das Bild sollte zwar der böhmische König Vladislav vom Kaiser Friedrich Barbarossa für die Hilfe bei der Eroberung von Mailand in der Mitte des 12. Jahrhunderts erhalten. Nach Brünn wurde es jedoch von Kaiser Karl IV. (1316-1378) als Geschenk an seinen Bruder Markgraf Johann Heinrich (1322-1375) anlässlich der Gründung des Klosters der Augustiner-Eremiten geschenkt. Karl nahm persönlich an der Einweihung der Kirche im Jahr 1356 teil, als das Bild den Augustinern offenbar übergeben wurde. Der mährische Markgraf Johann Heinrich führte tägliche marianische Stundengebte und Messen im Kloster ein. Sein Sohn Jošt (1354-1411), Markgraf von Mähren, brandenburgischer und gewählter römischer König, ließ das Bild im Jahr 1401 mit Gold und Edelsteinen verzieren. Zum Bild wurde eine Reihe an Ablassprivilegien von Bischöfen, Erzbischöfen, Kardinälen und Patriarchen ausgestellt. Informationen, welche der Autor der „Historia“ aus der Luxemburger Zeit angab, als sich das Bild in Brünn befand, können wir anhand der erhaltenen Ablassprivilegien, prüfen. Auch der Autor schöpfte aus ihnen, welcher in seinem Prolog der „Historia“ zur Glaubwürdigkeit seiner Erzählung angibt: „copiam originalis littere seu chronice“. Als Autor betrachten wir den Brünner Augustiner und Weihbischof von Olmütz, Wilhelm von Köln (1393-1482), dessen Vorfahren, aus Köln am Rhein nach Brünn kamen. Im Text der Legende werden wiederholt die Reliquien der Heiligen Drei Könige erwähnt, die zusammen mit dem Brünner Bild von Konstantinopel nach Mailand gebracht worden sein sollen. In Mailand sollten die Reliquien und die Ikone verehrt werden, und während das Bild der Jungfrau Maria nach der Eroberung der Stadt vom böhmischen König erworben und nach Prag gebracht wurde, brachte Erzbischof Rainald von Dassel die Reliquien nach Köln.
Marienverehrung in der Luxemburger Zeit
Die mährischen Luxemburger machten aus Brünn ihre Residenzstadt und das Kloster der Augustiner-Eremiten errichteten sie als eine Begräbnisstätte für eine Nebenlinie des Kaiserhauses. Die Kirche, die der Verkündigung der Jungfrau Maria und dem Apostel Thomas geweiht ist, wurde der älteste schriftlich belegte marianische Wallfahrtsort in Mähren. Über die Verbreitung der Marienfrömmigkeit im böhmischen Königreich im Spätmittelalter ist vielmehr als den mährischen Markgrafen, dem Kaiser Karl IV. selbst zu verdanken. Sein jüngerer Bruder, Markgraf Johann Heinrich, ahmte in Brünn treu die Formen der Marienfrömmigkeit nach, die Kaiser Karl IV. in Prag und an anderen Orten unter der Luxemburger Herrschaft einführte.
In seiner Biographie „Vita Karoli“ erläutert Karl IV. seine Beziehung zur Jungfrau Maria und die Formen der Marienfrömmigkeit. Als siebenjähriger Prinz wurde er zur Erziehung an den Königshof nach Paris geschickt. Er schreibt, dass seine Erzieher ihn gemäß der Anordnung des französischen Königs zum täglichen Lesen der marianischen Stundenbücher führten. Er betete sie gerne. Der Marienkult war Teil der Frömmigkeit am französischen Königshof, ebenso wie der Kult der Reliquien, von denen die bedeutendste die von dem heiligen König Ludwig IX. gewonnene Dornenkrone Christi war. Im Alter von vierzehn Jahren wurde Karl von seinem Vater, König Johann, nach Norditalien geschickt, um hier die Luxemburger Interessen in der entstehenden Signorie zu verteidigen. Auf einem militärischen Feldzug hatte er in der Nacht des 15. August 1333 in Terenzo einen Traum. Ihm erschien ein Engel, der mit einem Schwert dem Guigues VIII., dem Dauphin von Vienne, wegen seiner Ausschweifungen das Geschlechtsteil abhieb. Karl wagte es, den Engel zu fragen, ob der Dauphin sterben würde und ob er die Möglichkeit haben werde, vor seinem Tod zu beichten. Der Engel antwortete ihm, dass der Herzog sterben würde, aber dass er noch beichten könnte. Am nächsten Morgen, schreibt Karl, glaubte der Kammerdiener des Königs Johann von Luxemburg nicht an die Erzählungen über den Traum und den Tod des Dauphins. Später trafen Boten mit der Nachricht ein, dass Dauphin von Vienne gestorben sei. In Wirklichkeit war er aber von einem Pfeil getroffen worden. Diese Geschichte beeinflusste Karls Denken und führte gemäß seinen Worten zu der Entscheidung, die marianische Marienfrömmigkeit zu unterstützen. Karl hielt den Traum für eine Warnung vor einem sündigen Leben, das ihm durch die Jungfrau Maria zuteil geworden war.
In seiner Biographie gibt Karl an einer anderen Stelle an, dass er, als er einige Jahre später, wiederum am Fest Mariä Himmelfahrt, durch das Tal namens Gerlos fuhr, sich an das „Wunder oder die Vision“ erinnerte, „die ich am Tag der Mariä Himmelfahrt in Terenzo, in der Diözese Parma, hatte. Und seitdem habe ich den Vorsatz gefasst, dass zu Ehren der seligen Jungfrau in der Prager Kirche täglich die Stunden gesungen werden, so dass an jedem Tag eine neue Lesung über ihr Leben, ihre Taten und Wunder gelesen wird. Dies wurde dann auch getan, wie weiter unten berichtet wird.“ Im Jahr 1343, noch als Markgraf von Mähren, aber bereits faktischer Mitregent im Königreich zusammen mit seinem Vater König Johann, gründete Karl in der Prager Kathedrale einen Chor von vierundzwanzig Mansionären (speciales ministri Beatae Virginis Mariae). Mansionäre, von lat. mansio – Haus, da sie gemeinsam in einem Haus bei der Kathedrale wohnten, waren verpflichtet, persönlich an den marianischen Offizien und an den marianischen Votivmessen im marianischen Chor der Kathedrale teilzunehmen.
Nach seiner Rückkehr von der Kaiserkrönung in Rom, die an Ostern 1355 stattfand, hielt sich Karl IV. in Nürnberg auf und gründete hier die Kaiserliche Kapelle der Frauenkirche. Auch bei dieser Kirche richtete er ein Kollegium von Mansionären ein, das dem Vorsteher in Prag unterstellt war. Auf seiner Krönungsreise kaufte Kaiser Karl das Haus, in dem er in jener Nacht in Terenzo übernachtete, und auch hier richtete er ein Kollegium von Mansionären ein, die Prag unterstellt waren. Zur Stiftung der gesungenen marianischen Stunden trat der Bruder des Kaisers, der mährische Markgraf Johann Heinrich, bei St. Thomas in Brünn, sowie auch Karls Höflinge, Bischöfe in Magdeburg und Breslau, bei. Nach dem Erwerb der Markgrafschaft Brandenburg gründete Karl IV. auf der Residenzburg Tangermünde ein weiteres marianisches Kapitel. Damit ahmte er die frühere Gründung eines Marienkapitels auf der Burg Karlstein nach, wo er zwei Jahre nach seiner Kaiserkrönung ein Kapitel gründete. Karlstein trägt nicht nur den Namen des Kaisers, sondern wurde auch als uneinnehmbare Festung zum Schutz der Reichskronjuwelen und der Reliquien sowie der von Karl geschaffenen Sammlung von Reliquien der Passion Christi erbaut, die er als Schatz der Könige und des Königreichs Böhmen bezeichnete.
Prag, Nürnberg, Breslau, Magdeburg und Brünn waren Städte, die eine bedeutende Stütze der Herrschaft Karls im böhmischen Königreich und im Reich darstellten. Die Gründung von Kollegien der Mansionäre und das marianische Stundengebet waren nicht der einzige Ausdruck der Marienfrömmigkeit von Kaiser Karl IV. Der Marienkult repräsentierte gleichzeitig Karls Herrschaft und wurde Teil seiner politischen Konzeption. Der offensichtliche politische Kontext zeigt sich in den Gründungen von Klöstern, deren marianische Patrozinium durch eine zweite Widmung ergänzt wurde, die auf die Absichten des Kaisers hinweist. Zur Unterstützung der Verlagerung des Zentrums der kaiserlichen Macht aus den deutschen Ländern und seiner persönlichen Repräsentation diente die Gründung des Augustiner-Chorherrenklosters in Prag, das der Jungfrau Maria und Karl dem Großen geweiht wurde. Die Kirche ist ein einzigartiger Zentralbau und ahmt somit die Kaiserkapelle in Aachen nach. Zur Unterstützung der slawischen Liturgie, Schriftstellerei und Kultur und mit der Absicht, Karls Einfluss nach Osteuropa auszudehnen, gründete er in Prag das Benediktinerkloster „Na Slovanech“, dass der Jungfrau Maria, den Heiligen Cyrill und Methodius, Hieronymus, Adalbert und Prokop geweiht ist. Auch in dieser Hinsicht, durch die doppelte Widmung an die Jungfrau Maria und den Apostel Thomas, ahmte der Markgraf Johann Heinrich seinen älteren Bruder, Kaiser Karl, bei der Gründung des Augustinerklosters mit der Funktion einer Familiengrablege in Brünn, nach. Die von dem Kaiser und seinen Mitarbeitern gegründeten marianischen Stiftungen wurden großzügig beschenkt mit Reliquien, liturgischer Ausstattung, Statuen und Bildern.
Tomáš Drobný
Übersetzung: Dominika Novotná
Das Bild der Jungfrau Maria in der St.-Thomas-Kirche in Brünn
In der Tschechischen Republik ist nach Italien die größte Anzahl von Tafelbildern aus dem 14. Jahrhundert in Europa erhalten. Dies können wir als Folge der „luxemburgischen Kulturpolitik“ bezeichnen. In der luxemburgischen Zeit wurde Prag nicht nur zum politischen, sondern auch zum künstlerischen Zentrum des mitteleuropäischen Raums. Unsere Aufmerksamkeit richten wir nun nur auf ein Bild, auf die Ikone der Muttergottes der St. Thomas Kirche. Es ist das älteste Tafelbild in der Tschechischen Republik, sofern man nicht die Bilder mitzählt, die in der Neuzeit aus dem Ausland für Museums Sammlungen gekauft wurden. Laut Kunsthistorikern stammt das Kunstwerk aus Apulien in Italien, wo es im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts von italo-byzantinischen Ikonenmalern gemalt wurde. Es handelt sich um den am weitesten verbreiteten Typ von Ikone, der Hodegetrie genannt wird, was „Die, die den Weg zeigt“ bedeutet, nach dem konstantinopolitischen Kloster Hodegon. Die Jungfrau Maria ist zwar in der Mitte des Bildes und schaut in die Richtung des Betrachters, zeigt jedoch mit ihrer rechten Hand auf ihren Sohn, der mit einem Segen antwortet und in der linken Hand eine Schriftrolle hält, weil Er der fleischgewordene Logos ist. Die Ikone, zusammen mit dem Silberaltar, der von dem Augsburger Goldschmied Johann Georg Herkommer angefertigt wurde und seit der barocken Krönung dort steht, wurde von der Regierung der Tschechischen Republik im Jahr 2022 als Teil des wertvollsten kulturellen Erbes, als Nationales Kulturdenkmal erklärt.
Das Interesse von Kaiser Karl IV. an Ikonen
Karl IV. zeigte großes Interesse an Ikonen. Die verehrten Bilder, aus dem christlichen Osten stammend, und beträchtlichen Alter sind, erfüllten die Vorstellung des Kaisers von christlichem Universalismus und dienten zur Demonstration seines Glaubens, dass er auserwählt sei, die ganze Welt zu regieren. Mit Ikonen traf Karl während seiner längeren Aufenthalte in Italien zusammen. Mit der Menge an Ikonen waren Venedig und Rom berühmt. Aus Rom brachte der Kaiser mit der Zustimmung des Papstes eine Kopie des römischen Veraikons, welches sich in der Basilika St. Peter befand. In der Kirche der Jungfrau Maria Ara Coeli auf dem Kapitol ließ er eine Kopie der Madonna anfertigen, genannt Avvocata, auf Griechisch Deoméne, also Fürsprecherin, und brachte sie nach Prag. Im 14. Jahrhundert wurde das Kapitelsbild der Jungfrau Maria als Hauptbeschützerin der Römer verehrt. Die Prager Kopie verwies gezielt auf Rom und erhob die Bedeutung der neuen Residenzstadt des Kaisers als „zweites Rom“. In Prag wurden weitere Kopien gemalt, angereichert mit Blutstropfen auf Marias Schleier und Gesicht. Das Bild ergänzte die Marienreliquien in der Prager Kathedrale, einschließlich der Reliquie des blutbefleckten Schleiers Mariens. Zu zwei Reliquien des Schleiers der Jungfrau Maria wurden päpstliche Ablässe bei der Gelegenheit ihres Zeigens – ostensio reliquiarum – gewährt. Die Kathedrale wurde zu einem marianischen Wallfahrtsort. Die Kopie des römischen Veraikons wurde beim Zeigen der Reliquien auf dem Viehmarkt, dem heutigen Karlsplatz, am Fest des Speeres und der Nägel eine Woche nach Ostern gezeigt, wie wir beim letzten ostensio reliquiarum im April 1437 vermerkt haben, das von Kaiser Sigismund organisiert wurde. Die Kopie der römischen Madonna, genannt in Prag Aracoeli, sollte zum Palladium der Stadt Prag werden, und die Kopie des römischen Veraikons sollte zum Palladium des gesamten Königreichs Böhmen werden.
Über die Anfertigung von Kopien von Kultbildern aus Italien durch Karl IV. haben wir mehrere weitere Berichte. In Lucca ließ er auf eine Leinwand eine Kopie der Statue des Heiligen Antlitzes – Volto Santo – malen. Im Inventar der Frauenkirche in Nürnburg haben wir in den folgenden Jahrhunderten eine kurze Nachricht, dass sich hier ein „schwarzes Mariabild“ befand, das bei der Reformation entfernt wurde. Zweifellos handelte es sich um eine Ikone. Nürnberg, wie wir bereits wissen, stellte eine bedeutende Stütze in der Politik des Kaisers dar. Deshalb hatte die Geburt von Karls Nachfolger auf dem böhmischen und römischen Thron, Wenzel IV., im Februar 1361 in Nürnberg eine außerordentliche symbolische Bedeutung. Der zukünftige römische König wurde der Welt bei der Taufe erst im April vorgestellt, damit bei dieser Gelegenheit vom Kaiser ein Reichstag nach Nürnberg einberufen werden konnte. Das Brünner Bild ist außergewöhnlich dadurch, dass es sich um die einzige Ikone, nicht um eine Kopie, handelt, die Karl erwarb und nachweislich zur Unterstützung einer dynastischen marianischen Stiftung schenkte. Auf Grundlage der gegenwärtigen Erkenntnisse können wir berechtigterweise annehmen, dass die Ikone erst von Kaiser Karl aus Mailand gebracht wurde und nicht von seinem Přemysliden-Vorgänger, König Vladislav, im 12. Jahrhundert, wie es die Legende im Geiste des tschechischen mittelalterlichen Historismus angibt. Karl wurde am 6. Januar, am Fest der Heiligen Drei Könige des Jahres 1355, in Mailand mit der eisernen lombardischen Krone zum König von Italien gekrönt. Nach Prag brachte er dann die Reliquie des heiligen Petrus von Verona, Märtyrer und zweiter Heiliger des Dominikanerordens. Der heilige Petrus von Verona ist in der Basilika St. Eustorgio begraben, von wo die Ikone hätte beschafft werden sollen. Die Glaubwürdigkeit der Information wird durch die Tatsache unterstützt, dass der heilige Petrus von Verona nicht nur Inquisitor war, sondern vor allem ein bedeutender Marienverehrer, der in den Städten Norditaliens marianische Vereinigungen für Laien gründete – Congregazione della Vergine. Gerade die Möglichkeit der Verbindung der Ikone mit dem heiligen Petrus, dessen Grab zahlreiche Verehrer in die Basilika St. Eustorgio zog, unterstützt die Glaubwürdigkeit der mittelalterlichen Berichte, dass die Ikone bereits in St. Eustorgio in Mailand verehrt wurde.
Die Jungfrau Maria von St. Thomas als Palladium der Stadt Brünn
Der Kanzler Karls IV., der Olmützer Bischof Johannes von Neumarkt, der an Karls Krönung in Mailand teilgenommen hatte, schrieb etwas weniger als zwei Jahrzehnte später, dass glaubwürdige Zeugnisse belegen, dass die Jungfrau Maria im Brünner Augustinerkloster durch Wunder glänzt (oder strahlt). Das Bild wurde von den Luxemburgern noch ergänzt um eine Reliquie des blutbefleckten Schleiers der Jungfrau Maria. Markgraf Johann Heinrich ließ sich mit seinen beiden Ehefrauen vor dem Altar mit der Ikone in der Marienkapelle der Kirche St. Thomas begraben, die er gebaut hatte. Wieder begegnen wir einer Analogie zum Vorgehen Karls IV., der in der Prager Kathedrale eine königliche Grabkammer im Marienchor einrichtete, wo er zusammen mit seinen Ehefrauen und früh verstorbenen Kindern beigesetzt wurde. Aus den Handlungen Karls IV. ergibt sich, dass er sich als frommer Herrscher präsentierte und seine Familie unter den Schutz der Jungfrau Maria stellte. Es sei noch hinzuzufügen, dass die mährische-luxemburgische Linie gemäß der von Karl IV. herausgegebenen Erbfolgeordnung das Recht auf den Thron von Böhmen hatte. Zu der Zeit, als Karl die Ikone nach Brünn schenkte, war er bereits neununddreißig Jahre alt, war zum Kaiser gekrönt worden, hatte aber keinen männlichen Erben, während sein Bruder Johann Heinrich einen Sohn, Jošt, und dann noch zwei weitere Söhne hatte, bevor Karls Erbe Wenzel IV. geboren wurde. Ikonen und Ikonenkopien, platziert von den Luxemburgern in Prag, Brünn und Nürnberg kennzeichnen Orte, die mit der persönlichen Anwesenheit von Mitgliedern der regierenden luxemburgischen Dynastie verbunden waren.
Die Ikone der Muttergottes von St. Thomas hinterließ einen einzigartigen Eindruck in der Geschichte von Brünn und Mähren. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts erfahren wir, dass das Bild feierlich gezeigt oder bei Prozessionen getragen wurde, und bei diesen Gelegenheiten wurden von Kardinal Landulf Ablass von hundert Tagen gewährt. Aus diesem und weiteren Berichten geht hervor, dass die Jungfrau Maria von St. Thomas bereits im 15. Jahrhundert das Palladium der Stadt Brünn wurde. Brünn wurde weder von den Hussiten eingenommen noch später jemals erobert. Das bekannteste Ereignis in der Geschichte der Stadt Brünn wird erneut der Fürsprache der Jungfrau Maria durch die Verehrung der Ikone der Muttergottes von St. Thomas zugeschrieben. Es geschah am 15. August 1645, am Feiertag Mariä Himmelfahrt, als nach dreimonatiger Belagerung und einer zwanzigfachen Übermacht der schwedischen Truppen ein von dem bis dahin unbesiegbaren General Torstensson, der Angriff der Schweden scheiterte. Den Angreifern gelang es sogar, die Stadtmauern zu überwinden und in die Stadt bei der Kirche St. Thomas einzudringen, aber die herbeigerufene Reiterverstärkung der Verteidiger vertrieb sie im letzten Moment und die Stadt konnte sich als einzige mit Erfolg verteidigen.
Seitdem breitete sich die Verehrung des Brünner Bildes sowohl im Inland als auch im Ausland aus, sodass die Jungfrau Maria von St. Thomas das am meisten kopierte Bild im 17. bis 19. Jahrhundert in Mähren und Böhmen ist. Kopien finden wir in Kirchen, Klöstern, Kapellen sowie auf Burgen und Schlössern, nicht nur in Mähren und Böhmen, sondern auch in Österreich, Schlesien und der Slowakei. Im Jahr 1700 beschafften sich die Augustiner in Aachen eine Kopie der Muttergottes von St. Thomas. Vor dem Bild kniete zum Gebet die Kaiserin Maria Theresia nieder, und am Altar mit der Ikone hielt der Augustinerabt Johann Gregor Mendel, der Entdecker der Genetik Gesetze, Messen. Die frommen Gaben, hingegeben zur Fürbitte der Jungfrau Maria von St. Thomas, waren die Grundlage einer Stiftung, die zur Unterstützung der Musik im Kloster gegründet wurde, und dank dieser Stiftung erhielt der Komponist Leoš Janáček seine musikalische Ausbildung, der in der Basilika mit der Ikone im Kinderchor sang.
Die Marienfrömmigkeit der Luxemburger stellt ein geistliches Erbe dar, das in den folgenden Jahrhunderten in vielen Ländern, in denen sie herrschten, unterbrochen wurde. In Brünn wird die Ikone der Muttergottes von St. Thomas weiterhin im Augustinerkloster in Alt-Brünn verehrt, wohin die Ordensleute zusammen mit dem Bild und dem Silberaltar auf Beschluss von Kaiser Joseph II. Ende des 18. Jahrhunderts umgezogen sind. Für die böhmischen Länder ist die Zeit der Herrschaft Karls IV. eine Phase des umfassenden außergewöhnlichen Aufstiegs, und ebenso wie in der Barockzeit ist auch Teil dieses Aufstiegs die Blüte der Marienfrömmigkeit. Die Verbreitung und anschließende Popularisierung der Marienfrömmigkeit im 14. bis 16. Jahrhundert ist eines der charakteristischen geistigen und kulturellen Wesensmerkmale des Endes des Mittelalters und des Beginns der Neuzeit. Deshalb sprechen italienische sowie russische Historiker und Kunsthistoriker von der Renaissance als „rinascimento mariano“ – der marianischen Renaissance.
Text und Foto: Tomáš Drobný
Übersetzung: Dominika Novotná
Der letzte Gottesdienst daheim
Hier der letzte Teil der Pfarrchronik von Rojau bei Marienbad von Autor Justin Adalbert Möhler, Prämonstratenser, Realadministrator und Bruder des Tepler Abtes Karl Petrus Möhler.
Wolf-Dieter Hamperl erfasste den Text.
Am 5. Mai 1946 wurden auf oberhirtliche Anordnung ein Trauergottesdienst mit Requiem und Libera für die Gefallenen und zu Tode Gemarterten der letzten Jahre gehalten, von 12 bis 12.30 Uhr gleichfalls auf oberhirtliche Anordnung Glockengeläute. Am 9. Mai war Betsingmesse zu Ehren der Maienkönigin zum Dank für die Beendigung des Blutvergießens vor einem Jahr, auf Grund der gleichen Anordnung.
Am 12. Mai nachmittags vier Uhr hielt Administrator Reynold Modry von Marienbad erstmals Gottesdienst mit tschechischer Predigt und tschechischem Volksgesang; vorher Beichtgelegenheit. Da nun schon über 200 tschechische Katholiken hier angesiedelt sind, soll von nun an ein solcher Gottesdienst alle vierzehn Tage stattfinden.
Am 26. Mai erinnerte der Pfarrer, da weitere Aussiedlungen zu erwarten waren, an das vor einem Monat gesagte: „Der letzte Gang am Abend vor der Aussiedlung oder am Aussiedlungstage sei ein Gang auf den Friedhof und in die Kirche. Jeder von uns weiß aber: wenn ich auch in Zukunft nicht mehr an das Grab meiner Lieben treten kann, mit ihren Seelen bleibe ich durch die Gemeinschaft der Heiligen verbunden, wo immer ich auch bin. Ich kann für sie beten und opfern, wohin immer auch mich Gottes Hand führen mag. Und der Heiland, den wir zum letzten Male in dieser Kirche Abschied nehmend grüßen, erwartet uns schon jetzt in der Kirche unseres künftigen Wohnortes mit der gleichen Liebe, die er uns hier erwiesen hat. Halten wir uns nur alle Zeit und überall fest an ihn, daß wir einst in die ewige Heimat aufgenommen werden.“ Wie das letzte Mal, so wird auch künftig an jedem Aussiedlungstag um 6.00 Uhr die heilige Kommunion ausgeteilt, vorher und nachher Beichtgelegenheit, auf Wunsch auch am Vortag.
Am 29. Mai, am Vortag von Christi Himmelfahrt, ging der zweite Aussiedlungstransport mit etwa 160 Personen ab. Da die Aussiedlerliste diesmal schon am Montagfrüh, also 48 Stunden vorher, bekannt gegeben worden war, konnten die Leute mit ihren letzten Vorbereitungen leichter fertig werden und hatten darum auch leichter die Möglichkeit, nochmals die heiligen Sakramente zu empfangen: am Dienstag traten 52, am Mittwochfrüh 30 Personen zum Tisch des Herrn. Die Bittprozession, die am Montag und Dienstag noch gehalten werden konnte, mußte am Mittwoch, dem Aussiedlungstage, ausfallen. Dafür konnte der Pfarrer schon um 5.00 Uhr eucharistische Prozession halten. Krankenkommunion zu der 82 Jahre alten Anna Nadler in Nr. 37 und der schon viele Jahre gelähmten Anna Egerer in Nr. 60, die beide den Gang aus der Heimat nicht gehen wollten, ohne sich vorher nochmals mit dem Leibe des Herrn gestärkt zu haben. Das Gepäck, das laut Ankündigung auch diesmal pro Person 50 Kilogramm nicht überschreiten sollte, wurde diesmal weder gewogen, noch kontrolliert, sodass die Leute alles mitnehmen konnten, was sie eingepackt hatten. Im Lager wurde, soweit man hörte, nur kontrolliert, ob nicht Gegenstände mitgenommen wurden, deren Ausfuhr untersagt ist: Gold- und Silbersachen, Matratzen, Nähmaschinen und ähnliches. Am 5. Juni gingen sie von Marienbad ab, in einem von den Aussiedlern mit Girlanden bekränzten Zug – ein Zeichen, dass sie sich innerlich mit ihrem Los abgefunden hatten – mit 40 Wagen je 30 Personen, zusammen somit 1200 Personen. Der Zug wurde wieder in die USA-Zone geleitet und zwar, wie eine Karte meldete, nach Großhessen, während der erste Transport in die Münchener Gegend geführt worden war. Der Gottesdienst am Feste Christi Himmelfahrt wurde wie gewohnt gefeiert, nur an Stelle der Betsingmesse die volksliturgische Singmesse, bei der der Priester mit etwas erhobener Stimme spricht, was er beim Hochamt singt. Die Gläubigen singen wie beim Hochamt mit deutschem Volksgesang und beantworten sprechend die Gebetsrufe des Priesters. So wurde die Frühmesse gefeiert. Vormittags war Hochamt mit deutschem Volksgesang (Schubertmesse) und abends letzte Maiandacht.
Schon am 8. Juni, der Tag vor Pfingsten, ging der III. Transport von Rojau, rund 110 Personen. Obwohl die Liste erst am Vortag veröffentlicht worden war, traten am Aussiedlungstage noch 25 Gläubige zum Tische des Herrn.
Schon am 14. Juni wurde dieser Transport in Marienbad verladen und wieder in die amerikanische Zone geleitet. Außer dem Pfarrhof mit seinen beiden Insassen weilten nunmehr im Ort nur mehr sechs Familien mit 26 Personen. Die restlichen Pfarrangehörigen, die von der Gesamtzahl von 550 noch übrig sind, etwa 100 Personen, sind teils aus dem Krieg nicht heimgekehrt – gefallen, vermisst, gefangen –, teils schon im Vorjahr freiwillig über die Grenze gegangen, teils zum Arbeitseinsatz in das Innere Böhmens gebracht worden, um von da aus direkt ausgesiedelt zu werden. Infolge der geringen Zahl der deutschen Pfarrkinder wurden am Pfingstsonntag nach Rücksprache mit den Gläubigen die Frühmesse und die Pfarrmesse still gehalten. Auch wurde verkündet, dass die Vormittagsmesse von jetzt an ausfalle und die Frühmesse um 8.00 Uhr für die Pfarrgemeinschaft aufgeopfert werde. Zur Abendandacht erschienen fast alle, beteiligten sich alle am gemeinsamen Gebet und Gesang und baten nach der Andacht, es möge auch die Pfarrmesse wieder als Gemeinschaftsgottesdienst gefeiert werden.
So wurde denn am Pfingstmontag Hochamt mit deutschem Volksgesang, wobei die Gläubigen mit einer ergreifenden Innigkeit sangen. „Noch nie hat mich ein Gottesdienst so ergriffen wie dieser; mir ist das Wasser in die Augen gekommen“, sagte ein alter Mann dem Pfarrer. „Was Sie immer wollten und nie ganz durchgesetzt haben, dass alle mitsingen, das haben Sie jetzt erreicht“, meinte ein anderer.
Abends war Feierstunde zu Ehren des Heiligen Geistes. In gleicher Weise wurden auch das Dreifaltigkeits- und Fronleichnamsfest begangen: mit Hochamt und Feierstunde. Die Fronleichnamsprozession wurde in der Kirche gehalten. Am Sonntag nach Fronleichnam wurde vormittags Singmesse und abends Andacht zur göttlichen Vorsehung gefeiert.
Am Feste Peter und Paul war wieder Hochamt und Feierstunde, desgleichen am Sonntag darauf, den 30. Juni, an dem wir unser Kirchenfest und das Herz-Jesu-Fest feierten, ersterem war das Hochamt, letzterem die Feierstunde gewidmet.
So konnte dank der jahrelang gepflegten Volksliturgie der Gottesdienst in unserer Pfarrkirche bis zum Abgang der letzten deutschen Pfarrkinder würdig und erbaulich gefeiert werden, obwohl die Orgel schweigen musste und die Zahl der deutschen Teilnehmer auf 26 gesunken war: zum Troste dieser, zur Erbauung der teilnehmenden tschechischen Katholiken und vor allem zur Ehre des Allerhöchsten.
Das Hochamt zur Ehre der heiligen Märtyrer Johannes und Paulus, unserer Pfarrpatrone, war die letzte Opferfeier unseres volksliturgischen Gemeinschaftslebens, die Feierstunde zu Ehren des göttlichen Herzens die letzte allgemeine Gebetfeier.
Und eigenartige Fügung: gerade am Mittwoch, dem Oktavtag unseres Kirchenfestes, wurde bekannt gegeben, dass nun auch die letzten deutschen Rojauer zur Aussiedlung kamen; und am Freitag, dem Oktavtag des Herz-Jesu-Festes und zugleich Herz-Jesu-Freitag des Monats Juli, schieden sie von ihrer Heimatpfarrei. Zufall? Das ist der Gott der Toren. Der gläubige Christ weiß, dass nichts geschieht, und ist es noch so klein und unbedeutend in den Augen der Welt, ohne dass Gott davon weiß, ohne dass er es zulässt oder positiv will.
Auch bei diesem IV. und letzten Transport konnten die Leute wie beim II. und III. mitnehmen, was sie eingepackt hatten, ohnehin nur ein Teil ihrer beweglichen Habe. Eine Woche später begann der Zug zu rollen. Diesmal aber in die Richtung nach Karlsbad, wohl in die russische Zone Deutschlands. Hoffentlich istes wenigstens den nächsten Verwandten möglich, in absehbarer Zeit Fühlung zu bekommen und sich wieder zu vereinigen.
In Rojau blieben nur der Pfarrer und seine Haushälterin als letzter Rest der deutschen Bevölkerung zurück, da ihre Aussiedlung gemeinsam mit den Marienbader Geistlichen mit dem am 19. Juli in Bad Königswart abgehenden Transportzug erfolgen soll.
Was der Pfarrer in der letzten Jahresschlusspredigt gesagt, das gilt auch heute noch: Gott sei Dank, der die Seinen zwar prüft, sie bisweilen sogar bis zum Letzten prüft, ihnen aber auch die Kraft gibt, die Prüfung zu bestehen, wenn sie sich nur fest an ihn halten. Die Selbstmordepidemie, die in den Städten so viele Opfer forderte, auch in Karlsbad und dem nahen Marienbad, blieb unserer Pfarrei ferne. Nicht ein einziger trat ungerufen vor den Richterstuhl des Ewigen. Wenn auch manchem das Herz blutete und das Auge feucht wurde, so gingen doch alle ruhig und gefaßt ihren Weg in der festen Glaubensüberzeugung: „Denen, die Gott lieben, gereichen alle Dinge zum Guten.“
Und woher diese Kraft? Die Pfarrei hat sich im letzten Jahrfünft, wie ein Blick in die Kommunionfrequenztabelle zeigt, mehr und mehr an die Quelle aller Kraft gehalten:
Es wurden an heiligen Kommunionen ausgeteilt: im Jahre 1941 2447, im Jahre 1942 2810, im Jahre 1943 4179, im Jahre 1944 5528, im Jahre 1945 8240.
[Hier folgen schlecht lesbare statistische Berechnungen.]
Und wieder eine eigenartige Fügung: die 5000. heilige Kommunion des Jahres 1945 erhielt die Seelsorgshelferin unserer Pfarrei, und zwar an ihrem Namenstage. Ja noch mehr: als sie sich an die Kommunionbank kniete, war sie der Reihe nach die zweite und wäre damit die 4999. Kommunikantin geworden. Im letzten Augenblick kam eine Frau und drängte sich zwischen sie und ihre Mutter und machte sie dadurch, ohne dass die beteiligten eine Ahnung davon hatten, zur 5000. Zufall? Der gläubige Christ sieht in jedem Geschehen die allwaltende Hand des allweisen und allgütigen Allmächtigen. Von Interesse ist auch, die Jahr um Jahr in steiler Kurve ansteigende Zahl der Frequenzen über 100 zu verfolgen: l 20. März 1943 112 am Schlusstag der Mission; l 25. Dezember 1945 164 Weihnachtsfest.
Der tiefste Grund dieses steigenden religiösen Lebens ist wohl einerseits die Not der Zeit und andererseits die Pflege der Volksliturgie. Je schwerer eine Zeit, um so nötiger ist der enge Anschluss an Gott, den Urquell allen Trostes und aller Kraft, den Ursprung aller Kraft und das Endziel aller Zeiten. Je allgemeiner ein Notstand, um so wichtiger ist der enge Zusammenschluss der Betroffenen, auf dass einer des anderen Last trage und so die einen mit den anderen den Weg des Lebens gehen. Die Volksliturgie im Sinne der Kirche und im Glaubensgut der Kirche, vor allem in der Lehre vom mystischen Leib Christi, verankert und immer wieder aus diesem befruchtet, ist in besonderer Weise geeignet, diesen An- und Zusammenschluss im Geiste unseres heiligen Glaubens zupflegen, auf dass die Not der Zeit den Seelen nicht zum Untergang gereiche, sondern zur Auferstehung, sie immer mehr zur inneren Reife führe und damit den Weg zum Heile. Sie war auch unser Weg zu Gott.
Die Aussiedlung des Seelsorgers und seiner Haushälterin erfolgte nicht am 19. Juli, wie geplant und vorbereitet, denn der an diesem Tag abgehende Transportzug ging nicht in die amerikanische Zone, in der das Kloster Speinshart, das nächste Ziel, liegt, sondern in das russische Besatzungsgebiet. Die Bezirksbehörde in Marienbad sah darum von unserer Zuteilung an diesen Transport ab und stellte uns, den Geistlichen von Marienbad, Auschowitz und Rojau samt ihrem Dienstpersonal, frei, entweder bis zum nächsten in das amerikanische Besatzungsgebiet abgehenden Transportzug zu warten oder uns um einen Sondertransport zu bewerben. Voraussetzung dafür sei aber die Beibringung einer Zuzugsbewilligung in eine Gemeinde des amerikanischen Besatzungsgebietes. Daraufhin reiste der Seelsorger von Auschowitz, der in der Lage war, die erforderliche Bewilligung zu beschaffen, nach Speinshart und brachte von dort die geforderte Zuzugsbewilligung.
Nun erteilte die Bezirksbehörde Marienbad ohne Anstand die Genehmigung unserer Sonderaussiedlung. Eines nur war nun noch nötig, die Erlangung des „Permitts“ seitens der amerikanischen Bevollmächtigten in Prag. Nach wiederholten Fahrten unseres, der Staatssprache vollkommen mächtigen Mitbruders aus Habakladrau, Philipp Kettner, kam am 26. August die Mitteilung, dass das „Permitt“ erteilt sei und abgeholt werden könne. Dienstag, den 27. August, wurde das Aussiedlungsgepäck des pfarrlichen Haushalts von einem Lastauto der Spedition Bär in Marienbad abgeholt.
Mittwoch, den 28. August 1946, feierte der bisherige Seelsorger seine letzte heilige Messe in seiner bisherigen Kirche, am Feste des heiligen Ordensvaters Augustinus. Da es unsicher ist, wann oder ob überhaupt wieder ein Seelsorger hier angestellt wird, konsumierte er hierbei das Allerheiligste und löschte nach der Messe das ewige Licht. Im Laufe desselben Tages erfolgte im Dekanalamtsgebäude in Marienbad die Überprüfung und Plombierung des Aussiedlungsgepäcks der Teilnehmer des Sondertransportes: der Stift Tepler Ordenspriester Dechant Adolf Pöller, Professor Hilar Egerer, Katechet und Administrator Gerard Präger, Pfarrer Justin Möhler von Rojau, Kaplan Josef Rott von Auschowitz sowie ihres Dienstpersonals: vier aus Marienbad, eine aus Rojau und eine aus Auschowitz: im Ganzen somit elf Personen. Morgen, den 29. August 1946, verläßt der bisherige Pfarrer von Rojau seine Pfarrei um 6.00 Uhr früh. Um die gleiche Stunde soll in Marienbad die Einlagerung des Aussiedlungsgutes in ein Lastauto der Spedition Bär beginnen, worauf sich die oben Genannten in einen geschlossenen Anhänger begeben sollen, um die Fahrt nach Speinshart anzutreten. Gott segne mit Gnade und Wohlfahrt in Zeit und Ewigkeit alle bisherigen, derzeitigen und zukünftigen Pfarrkinder und Seelsorger der Pfarrei Rojau! Ihm zur Ehre und Lob, Dank und Sühne und Bitte.
Rojau, den 28. August 1946,
am Feste des heiligen Augustinus
Justin Adalbert Möhler, Prämonstratenser
Realadministrator
Quelle: Heimatboten für den Kreis Tachau, in: Sudetendeutsche Zeitung, Folge 35 vom 30. 8. 2024, Seite 16
Kirchliche Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge vom Zweiten Vatikanum bis 1989
Tagung des Instituts für Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa
Die Themen aus zurückliegenden Jahren fortführend, beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der diesjährigen Arbeitstagung des Instituts für Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa (IKKDOS) im Bonifatiuskloster Hünfeld mit dem Thema „Migration – Integration – Transformation. Katholische Identitäten der 1960er bis 1990er Jahre“. In mehr als zwölf Referaten ging es unter vier zentralen Gesichtspunkten um viele Aspekte aus verschiedenen Bereichen: Porträts, Orte und Regionen, theologische, kirchliche, politische Rahmenbedingungen. Ein besonderes Element war ein Gespräch mit drei Zeitzeugen zu ihren Erfahrungen in der bei der Tagung behandelten Zeitspanne. Aber auch die damalige Lage in der ČSSR wurde erörtert.
Das Zeitzeugengespräch, moderiert von Dr. Elisabeth Fendl und Dr. Heinke Kalinke, mit Großdechant Prälat Franz Jung, dem Historiker Dr. Otfrid Pustejovsky sowie der Historikerin und Übersetzerin Dr. Evelyne Adenauer bildete den Abschluss des ersten Seminartages. Bereits ab 1946, dem Jahr seiner Vertreibung, wurde Pustejovsky deutlich, dass nur Aussöhnung, der Verzicht auf Hass und beidseitiges Eingeständnis von Schuld angebrachte Reaktionen auf das erlittene Schicksal sein könnten. Diese Inhalte fand er bei der im Jahr 1946 gegründeten Ackermann-Gemeinde. Reforminhalte in der katholischen Kirche waren ihm über den BDKJ schon lange vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil bekannt. In die damalige Tschechoslowakei hatte er bereits Anfang der 1960er Jahre – meist auf privater Basis – Kontakte, auch über Geld- und Paketsendungen. Ab Mitte der 1960er Jahre gab es regelmäßige Besuche. Bis heute hadert Pustejovsky mit der Tatsache, dass der damalige Münchner Kardinal Michael Faulhaber den nach seiner Vertreibung im Jahr 1946 im Erzbistum München-Freising sesshaft gewordenen letzten Weihbischof der deutschen Minderheit in Prag, Johannes Nepomuk Remiger, nicht in die kirchliche Hierarchie integriert hat.
Seine Prägung durch die Junge Grafschaft Glatz (Heimattreffen, Wallfahrten, Fahrten in die alte Heimat usw.) brachte Franz Jung in seine Arbeit als Großdechant der Grafschaft Glatz ein. „Ich war ein halber Westfale geworden – aber es fehlte was“, erklärte er hierzu. So entwickelte sich bei ihm die Einschätzung, „dass man mit den Polen gut zusammenleben kann. Ich komme mit den Polen, die jetzt auf meinem Hof leben, gut aus“. Ein mit Frauen und Männern paritätisch besetzter Laienrat entstand, ab 1985 ein Pastoralrat. „Die Laien arbeiten ungeheuer gut mit“, betonte Jung und legte Wert darauf, dass schon sehr früh Frauen in alle Arbeiten einbezogen wurden.
„Als Kind habe ich die unterschiedlichen Formen des Katholizismus mitbekommen. Die Aussiedlung im Februar 1989 und die damit zusammenhängenden Aspekte habe ich als wahnsinnigen Bruch erlebt. Ich bin ein Stück erwachsen geworden“, berichtete Evelyne Adenauer, die im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie aus Polen aussiedelte. Vor allem war für sie als Oberschlesierin die Kirche zunächst einmal katholisch und mit bestimmten Traditionen verbunden. „Hier, in der neuen Heimat, passte das Verhalten nicht mehr. Natürlich sind wir in die Kirche gegangen – aber alles war ein Bruch“, stellte sie fest. Anfangs hielt die Familie noch den einen oder anderen Brauch aufrecht, gab dies aber schnell auf, „weil es nicht passte. Das war eine Form der Anpassung.“ Einen Unterschied stellte sie auch bei den Priestern fest. In der Heimat war der Seelsorger eine Persönlichkeit, die Ansehen genoss und selbstverständlich zu Feiern, Jubiläen usw. eingeladen wurde.
Spezifisch die Situation und Ereignisse in der damaligen Tschechoslowakei beleuchteten zwei Vorträge. Zum Thema „Rezeption des Zweiten Vatikanums in der ČSSR“ referierte der an der Universität von Königgrätz/Hradec Králové lehrende Professor Tomáš Petráček. Einleitend verwies er auf die Vertreibung der Deutschen nach 1945 und auf die Tatsache, dass die von den Deutschen bewohnten Gebiete stark religiös geprägt gewesen waren und fortan zu Missionsgebieten wurden. Ab 1948 erfolgte durch den Kommunismus eine massive Säkularisierung, verbunden mit atheistischer Propaganda, Deportation von Priestern und starker Unterdrückung der Kirche bis Ende der 1950er Jahre. Erst zu Beginn der 1960er Jahre kam es vereinzelt zu Amnestierungen. „Die Wirtschaft fiel immer weiter zurück und die kommunistische Ideologie verlor an Anziehungskraft“, charakterisierte Petráček diese Zeit, in der aber weiterhin Repressalien gegen die Kirche vorherrschten. Erst mit dem Beginn des Prager Frühlings ab etwa 1967 gab es ein höheres Maß an Freiheit. Im März 1968 schrieben Katholiken einen offenen Brief an Alexander Dubček, in dem sie Respektierung der Religionsfreiheit, die Rückkehr der Bischöfe und die Wiederherstellung der Strukturen anmahnten. Doch nur zwei Bischöfe konnten zurückkehren, nicht die geheim geweihten. „Es war zwar nur eine kurze Zeit, hatte aber beträchtliche Früchte – es war ein Werk der konziliaren Erneuerung. Durch die Erfahrungen der Verfolgung wurde der Boden für Reformen geebnet. Es war geprägt durch eine Besinnung auf das Wesen und die Wurzeln des katholischen Glaubens“, beschrieb der Referent die kirchliche Stimmung im Jahr 1968. So wurden die Reformen des Zweiten Vatikanums begrüßt, die Liturgiereform umgesetzt und „die neue Liturgie begeistert angenommen – bei fast keinem konservativen Widerstand. Aber es fehlte, die Liturgie mit einem neuen Geist zu erfüllen“, schränkte Petráček ein. Zwei Dialogformate wurden realisiert: ein ökumenisches Seminar und ein Dialog zwischen Christen und Marxisten. Die Rolle der Kirche in der Gesellschaft wurde 1968 rehabilitiert, sie wurde zu einem „modernen Gesicht des Christentums“. Mit der Niederschlagung des Prager Frühlings kehrten nicht nur die Stalinisten zurück. Es bedeutete auch eine Rückkehr zur ursprünglichen Haltung gegenüber der Kirche, zum „modus moriendi“ – dem endgültigen Ende des religiösen Lebens. „Man rechnete mit noch schlimmeren Dingen“, beschrieb der Vortragende. Geheimweihen wurden wieder aufgenommen, die Orden waren im Untergrund tätig, die theologische Fakultät in Olmütz wurde wieder geschlossen, die Gruppe der Friedenspriester „Pacem in terris“ wieder hergestellt. Ein Teil der Seminaristen ging ins Ausland – diese wurden Träger eines anderen Bildes als zuhause, einige blieben im Exil. Durch eingeschmuggelte theologische Literatur kam es zur Erneuerung des theologischen Denkens. Einen Blick warf Petráček auf die Charta ‘77 mit Katholiken und auch Reformkommunisten. In diesem Kontext konnten Katholiken eine wichtige Rolle im Vorfeld der Samtenen Revolution spielen. Begünstigt hat für den Referenten die Entwicklung auch die Tatsache, dass die Bischofssitze nicht besetzt waren. So gab es keine Disziplinierung. „Das Zweite Vatikanum wurde sowohl von der offiziellen wie der verborgenen Kirche unterstützt, auch weil es viele Berührungspunkte gab. Es war eine Zeit der Reform für die Kirche in einer Zeit der versöhnlichen Ostpolitik“, blickte er auf die 1970er Jahre und benannte das Ende dieser Entwicklung mit dem Start des Pontifikats Papst Johannes Pauls II. im Herbst 1978. Mit dem Beginn der Normalisierung setzte erneut die Säkularisierung (wie auch im Westen) ein. Am Ende des Kommunismus war die katholische Kirche zwar stark geschwächt, ab 1989 aber eine moralische Institution.
Der Historiker Prof. Dr. Jaroslav Šebek steuerte in Manuskriptform seinen Vortrag zum Thema „Der tschechische Katholizismus in der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils und seine Rezeption“ bei. Rückblickend zeigte er die Zerschlagung bzw. Schwächung der katholischen Kirche in den 1950er Jahren auf, wo sich die Aktivitäten der Kirche dann auf die Abhaltung von Gottesdiensten beschränkten. Beim Konzil in Rom war František Tomášek der einzige Bischof aus den tschechischen Ländern, unter den weiteren Geistlichen waren in der Regel Stützen der regimetreuen tschechoslowakischen Politik. Der Prager Erzbischof Josef Beran hatte die ČSSR verlassen müssen, lebte nun in Rom und nahm unter diesen Gegebenheiten am Konzil teil. Trotz Überwachung und Kontrolle drangen reformistische Ideen durch den Eisernen Vorhang – auch in die tschechische Kirche. „Die Umsetzung der konziliaren Initiativen brachte einen Aufschwung in der Kirche, Priester und Laien wurden aktiver. Die Priester näherten sich der Rezeption der konziliaren Ideen auf der Grundlage ihrer theologischen Ausbildung, ihrer pastoralen Erfahrung und ihrer Lebenserfahrung: Die Bandbreite der Haltungen reichte von Ablehnung über ein gewisses Misstrauen bis hin zu großer Aktivität bei der Umsetzung der Ideen in die Praxis“, erläuterte Šebek. Vor allem schlug sich das in der Liturgiereform nieder – mit Auswirkungen auf den größten Teil der heiligen Stätten. Bischof Tomášek versuchte, Priestern und Laien durch die Gründung der postkonziliaren Bibliothek theologische Texte zugänglich zu machen. Aber auch Laiengruppen begannen, die Initiativen des Konzils aktiv aufzugreifen: in Form von ökumenischen Seminaren an der theologischen Fakultät der Karls-Universität in Prag (z.B. öffentliche Diskussionen mit Marxisten). Bereits damals – 1966/67 – wurden aber Widersprüche in katholischen Intellektuellenkreisen deutlich. Die Fortschrittlichen waren offen für ökumenische Kontakte, die ältere Priestergeneration warnte vor einer solchen Offenheit. Die Reichweite blieb aber im Wesentlichen auf Prag und die Prager Erzdiözese beschränkt. Im Allgemeinen bewerteten die Gläubigen den praktischen Aspekt der Liturgiereform positiv, konkret die neuen Formen der katholischen Riten in tschechischer Sprache und das Feiern des Gottesdienstes zum Volk hin. „Die entscheidende Wende in der Verbreitung konziliarer Ideen wurde jedoch durch den politischen Kurswechsel in der kommunistischen Tschechoslowakei herbeigeführt, als in den ersten Monaten des Jahres 1968 eine Generation von Politikern in die Parteiführung einzog, die offen für reformistische Impulse waren“, schilderte der Historiker. Selbst Bischof Tomášek war überzeugt, dass der demokratische Sozialismus eine gute Basis für bürgerliches Engagement der Katholiken bietet. Im März 1968 leitete er das Ende der kollaborierenden Friedensbewegung des katholischen Klerus ein. Dafür wurde das Werk der konziliaren Erneuerung zur Verbreitung der konziliaren Ideen im kirchlichen Milieu (ab April 1968 in den einzelnen Diözesen) gegründet. Das Programm beinhaltete unter anderem Veränderungen in den bestehenden kirchlichen Strukturen (z.B. Schaffung von Pastoralräten) und die konkrete Umsetzung der Ideen des Zweiten Vatikanums. „Das wichtigste programmatische Ziel war es, im Geiste der konziliaren Ideen die Diözese und die Pfarrei zu einem lebendigen Organismus zu machen, in dem es eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Laien und dem Klerus geben sollte“, konkretisierte Šebek. Aber auch durch Auslandsaufenthalte gelangten moderne Denkströmungen des europäischen Katholizismus in die tschechische Kirche. „Innerhalb kurzer Zeit erhielt die Tschechoslowakei eine relativ große Menge an theologischer Qualitätsliteratur aus dem Westen. Was dann übersetzt und veröffentlicht wurde, wurde in gewisser Weise zur geistigen Nahrung für die gesamte Zeit der sogenannten Normalisierung, als es keine ähnlichen Möglichkeiten mehr gab und das kirchliche Umfeld aus politischen Gründen künstlich von den Debatten in der westlichen katholischen Welt isoliert war“, schilderte der Historiker. Er verwies aber auch auf Ängste und Spannungen vor neuen Ansätzen, eine Spannung zwischen den progressiven und den traditionalistischen Strömungen – und „Spannungen, die sowohl den Wunsch widerspiegelten, die Situation in der Kirche im Rahmen der strikten Einhaltung der kirchlichen Lehre zu halten, als auch den Wunsch, offen für die neuen Ideen zu sein, die aus dem Konzil hervorgingen, und sie auf die aktuelle Situation anzuwenden“. Diese Fragen sollten bei einem Treffen der tschechischen Bischöfe am 8. Januar 1969 erörtert werden. Die politischen Entwicklungen nach der Niederschlagung des Prager Frühlings verhinderten jedoch eine tiefe und breite Bearbeitung. Das Werk für konziliare Erneuerung bemühte sich zudem, die Anstrengungen um eine geistliche Erneuerung mit dem Versuch zu verbinden, die Debatte auch ins öffentliche Leben zu tragen, und forderte in den Diözesen die vollständige Rehabilitierung verfolgter Gläubiger, den Rückzug kollaborierender Kleriker aus hohen Kirchenämtern, die Wiederzulassung der katholischen Turn- und Pfadfindervereine und die Wiederherstellung der katholischen und religiösen Presse. Auch dies war nach dem Prager Frühling nicht mehr umsetzbar. Zusammenfassend stellte der Historiker fest: „Die Tätigkeit der katholischen Kirche im geistlichen Bereich während des Prager Frühlings ist gekennzeichnet durch eine beispiellose Aktivität von Priestern und Laien, verbunden mit Bemühungen, den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils in die Ortskirche zu tragen. Es war, als ob sich die Euphorie der angekündigten politischen Veränderungen des ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ mit der Begeisterung für die reformistische Progressivität des Konzils verband, die einen neuen Geist im Leben der kirchlichen Gemeinschaft einläutete (…) Insgesamt trugen die konziliaren Initiativen (…) ab Mitte der 1960er Jahre zur Aktivierung des kirchlichen Lebens bei, das seit der kommunistischen Diktatur eingeschränkt war.“ Und die Kirchen aller Konfessionen machten die Erfahrung, dass sie, die durch fast 20 Jahre Verfolgung sozusagen zum Schweigen gebracht worden waren, in der Lage waren, ihre Stimme zu erheben und einen beträchtlichen Teil der Bürgerschaft zu erreichen.
Die weiteren Vorträge widmeten sich der Vertriebenengemeinde St. Michael in Oldenburg-Kreyenbrück und ihrem schlesischen Pfarrer Josef Tenschert in den 1960er und 1970er Jahren, der Integration, Säkularisierung und kirchlichen Erneuerung in Waldkraiburg von 1960 bis 1980, der Entwicklung der katholischen Kirche in der Diaspora von 1960 bis 1990 am Beispiel des Bistums Hildesheim und der Aufnahme des Zweiten Vatikanums im Ermland. In einem Werkstattgespräch wurde das Thema „Abt Adalbert Kurzeja und die deutsch-polnische Versöhnung“ vorgestellt. Darüber hinaus ging es um den Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe von 1965, die Ermlandfamilie im Spannungsfeld der deutsch-polnischen Beziehungen 1960 bis 1990, die Diözesanneuregelung (Auflösung ostdeutscher Bistümer, Gründung neuer polnischer Bistümer) seit den frühen 1960er Jahren, die Seelsorge für polnischsprachige Katholiken in Westdeutschland, das Wirken des Prämonstratenserpaters Werenfried van Straaten und die kirchliche Arbeit für und mit DDR-Flüchtlingen und Spätaussiedlern.
Markus Bauer
Rückkehr zu den Wurzeln
Bei der Übernahme einer neuen Aufgabe habe ich mich gelegentlich als „Beispiel der gelungenen Eingliederung Sudetendeutscher in den bayerischen Volkskörper“ vorgestellt. Mein Vater, der Ingenieur Arnold Bily (1923-2016) wurde in dem Dörfchen Runarz in der mährischen Sprachinsel Deutsch Brodek-Wachtl (sie wird landsmannschaftlich dem Schönhengstgau zugerechnet) als Sohn eines selbständigen Schneidermeisters geboren und wuchs dort zusammen mit einem jüngeren Bruder auf. Wegen des frühen Todes seiner Mutter lebte er kurzzeitig in Znaim bei Verwandten, bevor er nach Olmütz an das dortige Deutsche Gymnasium wechselte, das er mit dem Abitur abschloss. Nach dem Einsatz während des II. Weltkrieges als Funker bei der Luftwaffe vorwiegend an der Ostfront geriet er in Norddeutschland in britische Gefangenschaft und konnte nach der schnell erfolgten Entlassung nicht mehr in seine Heimat zurückkehren. So blieb er zusammen mit einem Kriegskameraden aus Aussig an der Elbe (mein späterer Taufpate) sozusagen in Regensburg „hängen“. Dort lernte er meine Mutter, eine echte Regensburgerin, kennen. Beide heirateten 1949 und als einziges Kind kam dann ich am 22. Dezember 1952 zur Welt.
Von meinem Vater und Großvater habe ich zwar viel über das Leben in der Sprachinsel erfahren, aber ein konkreter Bezug entstand zunächst nicht, da es einmal keine Verwandten mehr im Osten gab und zum anderen mein Vater nie Sympathien für die Vertriebenenverbände und ihre Politik hatte. Nach dem Abitur 1972 am humanistischen Albertus-Magnus-Gymnasium in Regensburg begann ich zunächst ohne konkrete berufliche Vorstellungen mit dem Studium der Theologie, Philosophie und Germanistik an der Universität Regensburg mit einem Auswärtsjahr an der Universität Augsburg. Zu meinen theologischen Lehrern gehörte auch der spätere Papst Benedikt XVI.
Nach dem Diplom 1977 entschied ich mich, in das Noviziat der Salesianer Don Boscos in Jünkerath/Eifel einzutreten, die ich inzwischen näher kennengelernt hatte. Es folgten das Grundstudium der Sozialpädagogik an der Benediktbeurer Katholischen Stiftungsfachhochschule, nach dem Diakonat die Priesterweihe 1984 und schließlich die Freistellung für die Promotion im Fach Fundamentaltheologie, die ich bei Prof. Klaus Kienzler an der Universität Augsburg im Februar 1989 abschloss. Für dreieinhalb Jahre war ich in dieser Zeit sein Assistent am Lehrstuhl und Mitarbeiter in seiner Pfarrei St. Remigius in Augsburg. Danach war ich im Grunde immer in Benediktbeuern tätig, als Dozent, Professor und schließlich Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Salesianer bis zu ihrer Schließung 2014, dann als Klinikseelsorger, Direktor des Klosters 2017-2023 und seit Herbst 2020 als Seelsorger der kleinen Pfarrei St. Ulrich am Walchensee.
Aber zurück zu meinen Wurzeln. Irgendwann in den 90er Jahren wurde ich gebeten, bei der jährlichen „Brodker Foahrt“ der Sprachinsel Deutsch Brodek/Wachtl nach Limburg den feierlichen Gottesdienst in der Limburger Stadtkirche zu halten. Dieses Treffen fand bis 2016 stets um das Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus statt, da die Brodeker Kirche ihnen geweiht ist. Durch diese jährlichen Treffen habe ich viele der noch lebenden Sprachinsler kennengelernt und auch viele neue Informationen bekommen, die mein Interesse für meine teilweise Herkunft aus Mähren vertieften. 1991, kurz nach der großen Wende im Osten, war ich zusammen mit meinen Eltern in die Sprachinsel gefahren und hatte mit ihnen die verschiedenen Orte der Jugend meines Vaters – Runarz, Brodek, Konitz, Znaim und schließlich Olmütz – aufgesucht. 2005 war ich mit meinem Vater noch einmal in Olmütz, eine Stadt, deren barockes Zentrum mich stets sehr angesprochen hat.
Seit dem Ende der „Brodker Foahrt“ schreibe ich immerhin einmal im Jahr ein Gruß- und Geleitwort für den Weihnachtsbrief, der die letzte regelmäßige Verbindung zwischen den Sprachinslern darstellt. Inzwischen sind etliche der 2016 noch Teilnehmenden verstorben. Aber die Geschichte geht weiter: Der Vater eines Angestellten an unserem „Zentrum für Umwelt und Kultur“ im Kloster, des Diplom-Biologen Martin Blösl, stammt ebenfalls aus der Sprachinsel, direkt aus Brodek. Die Eltern von Herrn Blösl leben noch in Radolfzell am Bodensee. Über die Familie Blösl entstanden dann neue Kontakte zur „zweiten Generation“ der Sprachinsler, die – durchweg schon in Deutschland geboren – regelmäßige Kontakte nach Mähren pflegen.
Seit der Wende von 1989 hat sich in Tschechien viel verändert, die jetzige junge Generation, vor allem viele Historiker, sehen mit neuem Blick auf die Vergangenheit und versuchen die Geschehnisse objektiv aufzuarbeiten und die Schuld auf beiden Seiten zur Sprache zu bringen. In Brodek besteht seit 2021 in einer ehemaligen Scheune eine Dauerausstellung zur Geschichte der Sprachinsel einschließlich der Vertreibung der deutschen Bewohner 1946. Sie wird von den Geschwistern Simona Hedbávná und Aneta Valentová betreut. Es soll auch eine Gedenktafel angebracht werden, die an die ehemaligen deutschen Bewohner erinnern soll. Herr Lothar Schlesinger (Jahrgang 1952), Enkel des letzten Kirchenorganisten Brodeks, Karl Schlesinger, hat auch gute Kontakte zu Bürgermeister Antonin Koudelka geknüpft, der noch lebende Sprachinsler und ihre Nachfahren herzlich zu einem Besuch eingeladen hat. So wird nun eine neue „Brodker Foahrt“, aber diesmal wirklich nach Brodek (offiziell Brodek u Konice) für Juli oder August 2025 angedacht.
P. Lothar Bily SDB
Kloster Benediktbeuern
Holger Kruschina – Ehrendomherr von Leitmeritz/Litoměřice
In der Vesper zum Fest des heiligen Wenzels am 28. September 2024 stellte Bischof Stanislav Přibyl dem Stephanskapitel vier neue Kanoniker vor, darunter den Vorsitzenden des Sudetendeutschen Priesterwerks Regionaldekan Holger Kruschina.
Zu Beginn begrüßte der Bischof ein Quartett von Priestern, die er in das Kapitel berief. Es handelt sich um den Generalvikar P. Radek Jurnečka, den Pfarrer von Bělá pod Bezdězem, P. Kamil Škoda und zwei "Nachbarn": P. Holger Kruschina aus dem Bistum Regensburg und P. Śćěpan Delan aus dem Bistum Dresden-Meißen.
In den Kirchenbänken begrüßte der Propst des Kapitels, Pater Józef Szeliga, den Bischof: "Danke, dass das Kapitel für Sie eine Gemeinschaft von Helfern und Freunden ist. Danke auch für die Ernennung von Kanonikern aus benachbarten Diözesen, denn die Kirche kennt keine nationalen Grenzen, und die Zusammenarbeit profitiert immer davon."
Das Domkapitel des Hl. Stephan in Leitmeritz/Litoměřice ist eine Gemeinschaft von Priestern, die zu den engsten Mitarbeitern des Bischofs gehören. Ihre Aufgabe besteht in erster Linie darin, gemeinsam für die Diözese und den Bischof zu beten und sich um die Liturgie in der Kathedrale zu kümmern.
"Ich möchte, dass diese Kathedrale vor Leben pulsiert, dass sie schlägt wie das Herz, wie das Herz dieser Diözese", betonte der Bischof. Deshalb möchte er, dass die Chorherren dazu beitragen, dass die Kathedrale nicht nur ein totes Gebäude ist.
Dann wandte er sich an die Domherren und ihre Gäste aus den deutschen Nachbardiözesen: "Die Gläubigen deutscher Nationalität waren jahrhundertelang Teil unserer Diözese bis zur Vertreibung nach dem Krieg. Ich möchte die Ortskirche auf den Weg der Versöhnung führen", begründete Bischof Přibyl seine Entscheidung, zwei Ausländer in den Kreis der Ehrenkanoniker aufzunehmen. Wie er sagte, ist es im Falle von Pfarrer Holger Kruschina auch ein Ausdruck der Dankbarkeit für seine Tätigkeit im Sudetendeutschen Priesterwerk, dessen Vorsitzender er ist. Nach den Worten des Bischofs steht Pfarrer Śćěpan Delan für Freundschaft und enge Beziehungen, die durch das gemeinsame christliche Zeugnis von Tschechen, Deutschen und Lausitzer Serben verbunden sind. "Ihr Kanonikum ist auch ein Ausdruck der Dankbarkeit für Ihr Engagement für die Hilfe für die tschechischen Priester während der kommunistischen Ära", erinnerte der Bischof von Leitmeritz/Litoměřice an Pfarrer Delan.
Die St.-Wenzels-Feier in Leitmeritz/Litoměřice wurde mit einem gemeinsamen Festmahl der Gäste der neuen Chorherren abgeschlossen.
Dominik Faustus, Diözese Leitmeritz/Litoměřice
79. Vertriebenenwallfahrt nach Gößweinstein
Der Vertriebenenseelsorger der Erzdiözese Bamberg Monsignore Herbert Hautmann, der früher u.a. Pfarrer von Bad Steben und Schwarzenstein/ Schwarzenbach war, freute sich, dass die Basilika bis auf den letzten Platz besetzt war.
Als Hauptzelebranten hatte Monsignore Herbert Hautmann diesmal einen Priester aus der Regensburger Diözese mit sudetendeutscher Abstammung eingeladen: Pfarrer Holger Kruschina, Pfarrer von Nittenau und Fischbach. Holger Kruschina ist seit 2017 Vorsitzender des Sudetendeutschen Priesterwerkes und wurde 2022 in die Sudetendeutsche Bundesversammlung gewählt. Seine sudetendeutschen Wurzeln reichen bis in die Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Kruschinas Familie väterlicherseits1946 aus Laubendorf im Schönhengstgau in die Oberpfalz vertrieben, wo Pfarrer Holger Kruschina 1971 geboren wurde.
Weiterer Konzelebrant neben Herbert Hautmann war P. Adam Possmeyer, der seine heimatlichen Wurzeln im Banat hat.
Die Zelebraten zogen in einer Prozession, bestehend aus Fahnen- und Trachtenabordnungen u.a. von Sudetendeutschen, Schlesiern, Donauschwaben, Gruppierungen der Egerländer Gmoi aus Nürnberg und Forchheim, Gruppierungen des Ortsverbandes Naila und Kreisverbands Hof durch das Hauptportal in die Basilika ein. Der Festgottesdienst wurde musikalisch vom Regionalkantor i.R. Georg Schäffner an der Orgel umrahmt. Das "Ave Maria", meisterhaft dargeboten von Walter Lowitz auf der Trompete, war ein besonderes Geschenk an die Gottesdienstbesucher. Als Volksgesang wurden aus dem Liederbüchlein "Ostdeutsche Kirchenlieder", das aus einem Nachlass von Vertriebenenseelsorger Monsignore Adolf Schrenk stammt mit großer Inbrunst Teile aus der bei den Heimatvertriebenen sehr beliebten Schubert-Messe gesungen.
In seiner Predigt verknüpfte Pfarrer Holger Kruschina die Sonntagstexte mit dem Anlass der Wallfahrt und dem Datum, des 85. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges. Anknüpfend an die Lesung aus dem Buch Deuteronomium, das vermutlich im Babylonischen Exil entstanden sei, erinnerte er an das Wesentliche, das ein Volk auch fern der Heimat verbinde, nämlich den Glauben. Im Evangelienabschnitt des Tages mahnt Jesus, sich das Böse nicht von außen zuschreiben zu lassen. Das Herz könne sich immer wieder für das Gute entscheiden. So müssten auch die Erfahrungen von Flucht und Vertreibung die Menschen nicht bitter machen, sondern könnten bewusst auch zur Versöhnung genutzt werden. Kruschina schlug dabei eine Brücke von der Vergangenheit und die Gegenwart und rief, angesichts mancher spalterischen Tendenzen auch in unserer Gesellschaft, dazu auf, sich das Herz mit neuen Einflüsterungen von Neid und Angst nicht vergiften zu lassen, sondern sich für das Gute zu entscheiden.
Am Ende des Gottesdienstes folgte ein Totengedenken, vorgetragen vom stellvertretenden Vorsitzenden der Donauschwaben und Ehrenvorsitzenden der Heimat-Ortsgemeinschaft (HOG) Josef Lutz. "Wir gedenken aller Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und Aussiedler der verschiedenen Herkunftsländer, die in den Vernichtungslagern, bei Flucht und Vertreibung, als Opfer des kommunistischen Regimes, als Rußlandsverschleppte fern von uns verstorben sind. Wir gedenken unter den Klängen des „guten Kameradens“, begleitet von dem aus dem Banat stammenden Trompeters Walter Lowitz, all unserer Toten der alten und neuen Heimat.“
Anschließend meldete sich noch eine Banaterin mit einem Grußwort, die es, wie auch einige andere, nicht versäumte Monsignore Herbert Hautmann nachträglich mit einem kleinen Präsent zum 90.Geburtstag zu gratulieren.
Ein wunderbarer Gottesdienst, den alle Mitfeiernde noch lange in guter Erinnerung behalten werden, ging zu Ende. Man verteilte sich anschließend in den einzelnen Gaststätten, um noch bei Speis und Trank und guter Unterhaltung dem einen oder anderen Landsmann zu begegnen. Wenn es der Herrgott will, wird der bei allen beliebte Vertriebenenseelsorger auch im nächsten Jahr, dann zur 80. Vertriebenenwallfahrt einladen.
Bernhard Kuhn
Urlaubswoche für tschechische Priester
Dem Versöhnungsgedanken verpflichtet
Bamberg, das „Fränkische Rom“ war in den letzten Augusttagen Ziel von 19 Priestern und Ständigen Diakonen aus Tschechien, die noch zu Zeiten der kommunistischen Diktatur geweiht worden waren.
Auf Einladung des Sudetendeutschen Priesterwerks verbrachten die Geistlichen eine Urlaubswoche zusammen mit Msgr. Karl Wuchterl, Reiseleiter Diakon Diethard Nemmert sowie einer Dolmetscherin.
Bereits der erste Urlaubstag präsentierte ein Highlight: Zusammen mit Erzbischof Herwig Gößl, Mitgliedern der Ackermann-Gemeinde Bamberg und deren Geistlichen Beirat Domvikar Albert Müller feierte die Gruppe in der Nagelkapelle Eucharistie.
Danach folgte sie gern der Einladung ins Bischofshaus. Herwig Gößl erwähnte seine eigenen familiären Wurzeln im Sudetenland und beschrieb dann die Situation in der Erzdiözese Bamberg: traditionell katholische Bereiche fänden sich neben lutherisch geprägten Gebieten. Die momentanen Herausforderungen für die Kirche beschrieb er u.a. mit einem Mangel an Priestern und pastoralen Mitarbeitern, dem Vertrauensverlust der Kirche und der Notwendigkeit, mehr als 300 Pfarreien in 35 Seelsorgebereiche zu überführen.
Großes Interesse zeigten die Geistlichen aus Tschechien dann für den Synodalen Weg. Erzbischof Gößl verwies darauf, dass schon seit längerer Zeit beratende Elemente in der Arbeit Platz hätten. Auch sei stets die Zustimmung der Gremien eingeholt worden, wenn es um die Frage gegangen sei: Was geht vor Ort? Was geht nicht? Synodalität sei wichtig, wenn es darum gehe, den Willen des Herrn für die gegenwärtige Zeit zu erkennen, fügte er hinzu. Ein Teilnehmer merkte an, dass ein Lied und Gebet zum Hl. Geist nicht genügten, wenn es um die Suche nach dem Willen des Herrn gehe. Die Bereitschaft, den Hl. Geist einsickern zu lassen, sei vonnöten.
Nach dem Mittagessen im Traditionslokal „Schlenkerla“ wurde die Gruppe von einer Kunsthistorikerin durch den Dom geführt.
Eine hervorragende Präsentation der Historie und der Arbeit der Ackermann-Gemeinde wartete dann am Abend im Bistumshaus durch Christoph Lippert auf die Teilnehmer: Gegründet am 13.01. 1946 in München von sudetendeutschen Katholiken prägten Persönlichkeiten wie Msgr. Anton Otte die Versöhnungsarbeit der Ackermann-Gemeinde. Stand zunächst die Überwindung der materiellen und seelischen Not, die durch die Vertreibung entstanden ist, im Vordergrund, ging es später um die Unterstützung der Kirche in der CSSR sowie die Betreuung von Exiltschechen und Slowaken. Versöhnungsarbeit durch konkrete Projekte (Wallfahrten, Begegnungstage, Pflege von Kirchen und Friedhöfen usw.) folgte auf diese Phase. Als bleibende Herausforderung beschrieb Christoph Lippert, dass es vielen Vertriebenen heute noch schwer falle zu erkennen, dass Sudetendeutsche nicht nur Opfer, sondern auch Täter gewesen seien.
Am Mittwoch lud die Fränkische Schweiz zum Besuch. In Gößweinstein ließ es sich Msgr. Hautmann, Vertriebenenseelsorger des Erzbistums Bamberg und über 90-jährig, nicht nehmen, mit der Gruppe in der Basilika Hl. Messe zu feiern.
Eine hervorragende Führung in der Basilika und durch das Wallfahrtsmuseum mit Kirchenpfleger Georg Lang, dem früheren Bürgermeister, folgte. Der Besuch der berühmten Teufelshöhle in Pottenstein rundete schließlich die Fahrt in die „Fränkische Schweiz“ ab.
Am Abend hatte sich Pfarrer Hetzel Zeit genommen und eigens seinen Urlaub unterbrochen, um einen Vortrag über die Situation von Stadtgemeinden in Bamberg (Obere Pfarre; St. Martin) zu halten. Angesichts des Rückgangs von Kirchenbesuch und Kirchenbindung stellte er die Frage, ob Quantität oder Qualität (etwa Zeit, vor und nach dem Gottesdienst, um Gemeinschaft zu pflegen) gesucht werden sollte. Bisher habe man versucht, alte Strukturen der Versorgung aufrecht zu erhalten. Der Wunsch vieler Gläubigen sei es, dass alles so bleiben müsse, wie es vor 10 Jahren war. Für die Zukunft ginge das so nicht mehr. Das zeigte er am Beispiel von 10 Eucharistiefeiern am Gründonnerstag - auf engstem Raum in der Stadt – auf. Leicht könne man andere Pfarreikirchen fußläufig erreichen. Ziel müsse sein, weg vom Reduzieren hin zur Konzentration zu kommen. Schwerpunkte müssten gesetzt werden und Gläubige dann wissen, was sie erwartet: Die Obere Pfarrei z.B. als Kirche der Geborgenheit, St. Martin mit seinem großen Kirchenraum und in der Innenstadt gelegen schwerpunktmäßige „Veranstaltungskirche“ bzw. Ort der Ruhe (Stilleangebot in der Innenstadt).
Dass wir in Deutschland eine Minderheit geworden sind, dürfe nicht dazu führen, sich zu verkriechen: Auferstehung heiße, Flagge zeigen. Für die Zukunft müsse deutlich werden, dass wir nichts bekommen wollen, z.B. mehr Kirchgänger, sondern geben wollen. Aufgeben sei keine Alternative.
Der vorletzte Tag war einem Besuch der Gebetsstätte Heroldsbach mit öffentlichen Verkehrsmitteln gewidmet. Nach der Eucharistiefeier gab Pater Stockhausen den Geistlichen einen ausführlichen Überblick über die Entstehung des Gnadenortes und seine heutige Anlage.
Im Anschluss daran warteten im Biergarten der Gastwirtschaft „Frank“, Heroldsbach, böhmische Spezialitäten aus der Küche ihres Landmannes Pavel Märkl auf die Gäste.
Nach dem geselligen Abend in der Cafeteria des Bistumshauses zu Gitarrenklängen von Martin Holik hieß es am Freitag früh nach Eucharistie und Laudes sowie dem Frühstück Abschied nehmen.
Vielen Dank an dieser Stelle für die ganz hervorragende Unterbringung und Betreuung im Bistumshaus!
2025 ist die Urlaubswoche für den Raum Zittau geplant. Manuela Kopriva und das Ehepaar Nemmert haben sich bereits vor Ort schon einmal umgesehen, damit wieder ein interessantes Programm die teilnehmenden Mitbrüder erwartet!
S Panem Bohem – mit Gott.
Diakon Diethard Nemmert